Sein mit Leib und Seele - Band 04
Freundin ein Abschiedsbussi und breche zur Bibliothek auf. Ein Hallo für die „Damen am Infoschalter“, deren Namen ich nie richtig zuordnen kann (Welche von ihnen ist Monique? Welche ist Chantal?), ein Winken für den staubigen Mann in seinem Büro und dann rase ich die Treppen hinunter, wo schon mein Arbeitskollege auf mich wartet.
„Na endlich! Haben Sie mal auf die Uhr geschaut?“
Das sagt er jedes Mal und setzt dabei einen verärgerten Gesichtsausdruck auf. Ich küsse ihn dann auf die Wange, als wenn ich mich damit entschuldigen wollte. Jeden Tag ein wenig näher zum Mund hin. Das ist ein Ritual.
„Nicht viel zu tun?“
„Seit einer Stunde rein gar nichts, Miss Maugham. Dann lass ich Sie mal allein, ich bin am Verhungern.“
Nun bin ich allein im Untergeschoss. Manon findet diesen Arbeitsplatz widerwärtig. Wie eine Tiefgarage, „ein idealer Ort, um verprügelt oder vergewaltigt zu werden“, sagt sie. Sie hat recht, die Atmosphäre ist ohne Frage vergleichbar. Außer dass es hier Bücher gibt. Nie enden wollende Gänge voller Bücher. Meine Arbeit: sie einordnen. Beziehungsweise, den Großteil meines Tages verbringe ich mit Warten. Manchmal vergeht ein ganzer Nachmittag, ohne dass ich etwas zum Einordnen habe. Und dann kommt plötzlich der Wagen mit dem Lastenaufzug. Monique (oder Chantal?) schickt ihn erst runter, wenn er voll ist, daher dauert das natürlich auch eine Weile. Besonders weil die Bibliothek unserer Uni nicht gerade gut besucht ist. Mathieu meint, dass sie totaler Schrott sei, er selbst leiht seine Bücher in einer anderen Universität aus. Für mich ist sie völlig ausreichend. Und außerdem kann ich ganz unauffällig meine Wissenslücke schließen.
Gefährliche Liebschaften
also. Es ist irgendwie seltsam, in letzter Zeit lese ich ziemlich oft solche frivolen Romane. Ich weiß nicht, ob es daran liegt, dass die Franzosen mit diesem Thema eher freizügig umgehen, oder ob ich einfach nur eine Gabe dafür habe, auf so etwas zu stoßen, aber ich habe das Gefühl, als würde ich nur noch schlüpfrige Geschichten lesen. Irgendwelche Machenschaften, Hofstaatsintrigen oder Bettgeschichten ... Wer ist hinter der Kammerzofe her, wer hintergeht seinen Ehegatten mit dem Haushofmeister, wer verführt ein naives Ding oder eine Nonne ... Die Begeisterung für solche Geschichten ist nichts Neues. Ich lerne viel aus ihnen. Zumindest ohne Zweifel mehr, als aus dem ausschweifenden Leben, das ich Charles vormache zu führen. Denn ich habe mich dazu entschlossen, etwas mit ihm zu spielen. Damit wir uns richtig verstehen, ich möchte nicht wieder mit ihm zusammenkommen.
Trotzdem würde ich mich gerne ein wenig an ihm rächen. Ich möchte, dass er mich begehrt. Dass er mich will. Ich möchte, dass er sich Gedanken über mich macht und, wer weiß, vielleicht auch ein bisschen eifersüchtig ist. Laut der Theorie, die ich aus den Romanen ziehe, kann ich das erreichen, indem ich in der Praxis einfach sehr spät nach Hause komme. Meine wichtigste Waffe dabei: immer so aussehen, als ob ich gerade aus dem Bett komme. Das erreicht man am besten durch die Frisur: Statt des seriösen Pferdeschwanzes für junge Damen, wie ich ihn bei meiner Ankunft in Paris immer trug, mache ich mir nun immer einen schnellen Haarknoten, so wie Manon ihn mir gezeigt hat. Vor allem müssen dabei aber ein paar Haarsträhnen verspielt im Nacken heraushängen. Lektion 2: sich mit der Schminke zurückhalten, ja sogar überhaupt keine benutzen. Lektion 3: morgens dieselbe Kleidung wie am Abend zuvor tragen (was einen nicht daran hindern sollte, sich mittags umzuziehen, im Gegenteil ...). Lektion 4: dafür sorgen, dass man immer so aussieht, als hätte man gerade einen Orgasmus gehabt. Konkret heißt das, dass ich mir jedes Mal, wenn ich ihm begegnen könnte, auf die Lippen beiße, mir in die Wangen kneife und versuche, glücklich und verträumt auszusehen. Alles ganz subtil. Lektion 5: die Unterwäsche weglassen. Na gut, ich muss zugeben, das habe ich noch nicht versucht. Ich tue mich etwas schwer damit, mir vorzustellen, im tiefsten Winter mit nacktem Hintern herumzulaufen. Manon versichert mir, dass es ein berauschendes Gefühl sei. „Du fühlst dich, als wenn du es mit der ganzen Welt treiben könntest, als wenn du Superkräfte hättest.“ Typisch Manon. Ich weiß noch nicht, ob das bei meinem Nachbarn Wirkung zeigt. Jedenfalls ist schon mal sicher, dass ich ihn momentan sehr oft sehe. Obwohl er mir ja versichert hatte, dass er kaum
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