Seine einzige Versuchung
der Bibliothek warten soll?“
„Nein… so dringend ist es nun auch wieder nicht… ich kann… das kann warten…“, gab er ihr halbherzig zu verstehen. „Bitte kümmere Dich um Jakob. Er braucht Hilfe bei der Aufgabe, die wir gestern angefangen haben.“ Seine Stimme hatte unvermittelt wieder densachlichen Tonfall angenommen, der sogleich die Distanz zwischen ihm und Elli vergrößerte. Das ständige Wechseln seiner Stimmungen quälte sie. Einerseits wollte sie unbedingt wissen, was er ihr mitzuteilen hatte, andererseits fürchtete sie, er könne ihr etwas Unangenehmes eröffnen, das sie womöglich lieber gar nicht wissen wollte. Sie beschloss, ihn nicht mehr darauf anzusprechen. Falls es sich um etwas Wichtiges handelte, würde er gewiss später von sich aus erneut darauf zurückkommen.
Da Blöhm kein besonderes Geschick im Umgang mit Menschen besaß, hatte er Jakob einfach in der Eingangshalle stehen lassen und sich wieder ins Büro zurückgezogen. Dort stand der Junge etwas verloren herum, als Elli nun zu ihm ging und ihn freundlich begrüßte. Benthin hingegen blieb mit ernüchtertem Gesichtsausdruck auf der Treppe stehen. Für einige Augenblicke lehnte er sich mitder Stirn gegen die Wand und seufzte leise, bevor er schließlich nach oben ging.
Kapitel 15
Ellis Arbeit mit Jakob war recht annehmbar verlaufen. Sie konnte sich leichter als ihr Mann auf die Leistungsfähigkeit ihres Schülers einstellen, der noch ein wenig ungeübt in geistiger Ausdauer und Konzentration war. Wie sich herausstellte, wirkten kleine Pausen Wunder. Jakob wollte unbedingt während dieser Unterbrechungen Dinge erledigen, die im Haushalt liegen geblieben waren, um sein Schulgeld redlich zu verdienen. Sein Wille und seine Energie beeindruckten Elli. Sie war überzeugt, er würde es schaffen, eines Tages nicht so schwer arbeiten zu müssen wie seine Eltern und weniger Geldsorgen zu haben. Ihre eigenen Sorgen hingegen waren nicht kleiner geworden, obwohl Benthin nach der vielversprechenden Sitzung vor ein paar Tagen endlich wieder einmal etwas gelöster gewirkt hatte als in den Wochen zuvor. Das mochte an seinen politischen Fortschritten gelegen haben - so genau konnte sie seine Launen noch immer nicht einschätzen. Was auch immer er ihr mitteilen wollte, als er sie aus der Küche nach oben gezogen hatte: er unternahm keinen weiteren Anlauf, sich zu erklären. Benthin arbeitete wieder unermüdlich und ruhte sich nicht auf seinem Erfolg aus. Jede Menge unausgesprochener Worte standen zwischen ihnen wie eine unsichtbare Mauer, die keiner wagte, einzureißen. Wie auch am Abend vor der Sitzung war Benthin, von wiederkehrenden Kopfschmerzen geplagt, mehrmals vor dem Abendessen für eine Weile aus dem Haus gegangen und deutlich entspannter zurückgekehrt. Elli beunruhigten seine abendlichen Ausflüge, auch wenn sie ihm offenbar guttaten. Der Verstand befahl ihr, das Misstrauen, das ihr vom Instinkt aufgedrängt wurde, beiseite zu schieben und ihre volle Aufmerksamkeit auf ihre eigenen Ziele zu richten. Zumindest in diesem Punkt fühlte sie sich von ihrem Mann unterstützt. Immerhin war es nicht an der Tagesordnung, dass eine Frau ihrer Stellung eigenen Interessen außerhalb des Hauses nachging. Ellis Pläne, weniger privilegierte Frauen für Handarbeiten von Geldspenden zu bezahlen, beeindruckten ihn. Er wusste aus eigener Erfahrung, dass die wenigsten Menschen Almosen ohne Gegenleistung annehmen wollten, selbst wenn es ihnen noch so schlecht ging. So konnten sie ihren Stolz bewahren und gleichzeitig eine überaus nützliche Tätigkeit ausüben, die ihre finanzielle Lage wenigstens ein bisschen verbesserte. Er hatte ihr zugesichert, seine Kontakte spielen zu lassen, um an Spenden für die Finanzierung des Vorhabens zu kommen.
Der November ging allmählich zu Ende und zeigte sich noch einmal von seiner besseren Seite. Es war zwar kalt, aber sonnig. Schnee lag in der Luft. Elli beschloss, den Weg zur Suppenküche zu Fuß zurück zu legen. Sie war inzwischen zu einem festen Bestandteil der Helferinnen in der Suppenküche geworden. Auch hier hatte man ihren Plan anerkennend aufgenommen und bereits erste Interessenten in wohl situierten Kreisen gefunden, die sich zum Spenden bereiterklärten. Als Elli nach ihrem üblichen, knapp halbstündigen Gang ankam, sah sie einen Mann am Eingang für Mitarbeiter stehen, der dort anscheinend auf jemanden wartete. Sie erkannte ihn nicht sofort, da er ihr den Rücken zugewandt hatte. Es war Kabus. Er
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