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Seine Exzellenz Eugène Rougon

Seine Exzellenz Eugène Rougon

Titel: Seine Exzellenz Eugène Rougon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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war, als fühle er die Dächer unter
der Wucht eines plötzlichen Schreckens erbeben, als höre er den
Knall ferner Explosionen und Schreie des Entsetzens. Ganz Paris
schien ihm plötzlich über ein ungeheures Verbrechen außer Fassung
geraten. Er erinnerte sich jenes Juninachmittages, des hellen,
glänzenden Nachmittages der Taufe, als die Glocken im warmen
Sonnenscheine läuteten, die Ufer mit Menschenmassen bedeckt waren,
da auf dem Gipfelpunkte die ganze Herrlichkeit des Kaiserreiches
stand, unter der er sich einen Augenblick so winzig klein gedünkt
hatte, daß er den Kaiser beneidete. Jetzt war die Stunde der
Vergeltung gekommen, ein mondloser Himmel, die Stadt
schreckensstarr, stumm, die Ufer menschenleer, von einem Schauer
überrieselt, der selbst die Gasflammen zittern machte, so daß sie in der Nacht den
schielenden Augen eines Meuchelmörders glichen. Er atmete tief, er
liebte diese Mördergrube Paris, in deren Entsetzen erregendem
Schatten er seine Allmacht wiederfand.
    Nach zehn Tagen wurde Rougon an Marsys Stelle zum Minister des
Innern ernannt, letzterer zum Präsidenten des gesetzgebenden
Körpers.

Kapitel 9
     
    An einem Märzmorgen saß Rougon im Ministerium des Innern vor
seinem Schreibpulte, eifrig damit beschäftigt, ein vertrauliches
Rundschreiben zu verfassen, das die Präfekten am andern Tage schon
in Händen haben sollten.
    »Jules! Nennen Sie mir doch ein Wort, welches dasselbe besagt
wie Autorität«, sagte er. »Diese Sprache ist einfach dumm! …
Ich schreibe in jeder Zeile: Autorität.«
    »Nun: Macht, Regierung, Reich«, versetzte der junge Mann
lächelnd.
    Herr Jules d'Escorailles, den er zum Sekretär ernannt hatte, las
auf einer Ecke des Schreibtisches die eingelaufenen Briefe. Er
öffnete die Umschläge sorgfältig mit einem Messer, überflog mit
einem Blick den Inhalt und ordnete die Briefe sodann. Vor dem
Kamin, in dem ein helles Feuer brannte, saßen der Oberst, Herr Kahn
und Herr Béjuin. Alle drei hatten sich sehr behaglich hingestreckt
und wärmten ihre Sohlen, ohne ein Wort zu sagen. Sie waren zu
Hause. Herr Kahn las eine Zeitung, die beiden anderen lagen
träumerisch zurückgelehnt, drehten ihre Daumen und starrten in die
Flammen.
    Rougon erhob sich, goß ein Glas Wasser ein und leerte es auf
einen Zug.
    »Ich weiß nicht, was ich gestern gegessen habe«, murmelte er.
»Ich möchte heute die ganze Seine austrinken!«
    Er setzte sich nicht sogleich wieder, sondern ging in dem
Gemache umher, seinen mächtigen Körper dehnend undreckend. Sein schwerer Tritt ließ durch den dicken
Teppich den Boden erbeben. Er schob die grünsamtenen Vorhänge
beiseite, um mehr Licht zu haben. Dann schritt er durch das weite,
mit dem schwarzen, verblaßten Luxus eines möblierten Palastes
ausgestattete Gemach, breitete in seiner Mitte die Arme aus,
faltete die Hände im Nacken und genoß wie trunken den Duft der
Verwaltung, den Duft der befriedigten Macht, den er dort einsog.
Wider Willen mußte er lachen; und er lachte ganz allein, daß ihm
die Seiten wackelten; es war ein Lachen, das seinen Triumph
verkündigte. Als der Oberst und die beiden anderen diesen
Heiterkeitsausbruch hörten, wandten sie sich um und nickten ihm
schweigend zu.
    »Es ist gar nicht übel«, sagte er einfach.
    Als er seinen Platz vor dem ungeheuren Schreibtisch aus
Palissanderholz wieder einnahm, trat Merle herein in tadelloser
Haltung, in schwarzem Frack und weißer Krawatte.
    Er hatte in seinem würdevollen Gesichte keine Spur von Bart
mehr.
    »Ich bitte Eure Exzellenz um Verzeihung«, murmelte er, »der
Präfekt des Somme-Departements ist da … «
    »Er soll zum Teufel gehen, ich arbeite«, rief Rougon schroff.
»Es ist unglaublich, ich habe keinen Augenblick für mich!«
    Merle ließ sich nicht aus der Fassung bringen und fuhr fort:
    »Der Herr Präfekt versichert, daß Eure Exzellenz ihn erwarten…
Auch die Präfekten des Nièvre-, des Cher- und des Jura-Departements
sind da.«
    »Gut, so mögen sie warten; dazu sind sie da«, versetzte Rougon
sehr laut.
    Der Türsteher ging hinaus. Herr d'Escorailles lächelte; auch die
drei anderen, die sich wärmten und streckten, waren durch die Antwort des Ministers ergötzt. Dieser
fühlte sich durch seinen Erfolg geschmeichelt und fuhr fort:
    »Es ist wahr, seit vier Wochen stecke ich unter den
Präfekten … Ich habe sie alle kommen lassen. Wirklich eine
hübsche Gesellschaft! Einige sind geradezu einfältig. Immerhin
gehorchen sie. Aber ich bin es bald satt …

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