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Seine Exzellenz Eugène Rougon

Seine Exzellenz Eugène Rougon

Titel: Seine Exzellenz Eugène Rougon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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Sie gekommen sind, mein
Junge.«
    Damit entließ er ihn. Jetzt schwankte er nicht länger. Er trat
in den Speisesaal, wo Gilquin eben mit einem Topf voll eingemachten
Obstes zu Ende war, nachdem er eine Pastetenschnitte, einen
Hühnerschenkel und kalte Kartoffeln zu sich genommen. Du Poizat
hatte sich zu ihm gesellt und plauderte mit ihm, rittlings auf
einem Stuhle sitzend. Sie redeten sehr rückhaltlos von den Frauen
und von der Kunst, ihre Liebe zu gewinnen. Gilquin hatte seinen Hut
auf dem Kopfe und schaukelte sich, auf seinen Sitz zurückgelehnt,
mit einem Zahnstocher zwischen den Lippen, um seine gute Lebensart
zu zeigen.
    »Ich gehe also«, sagte er, sein volles Glas leerend und mit der
Zunge schnalzend. »Ich will in der Montmartrestraße nachsehen, was
meine Vöglein treiben.«
    Aber Rougon, der sehr gut gelaunt schien, lachte ihn aus.
Glaubte er auch jetzt nach dem Essen noch an seine
Verschwörergeschichte? Du Poizat stellte sich ebenfalls ganz
ungläubig und verabredete für den folgenden Tag eine Zusammenkunft
mit Gilquin, dem er ein Frühstück schulde. Gilquin wiederholte mit
dem Stock unterm Arme:
    »Also Ihr wollt nichts verlauten lassen?«
    »Ei ja!« versetzte Rougon schließlich. »Aber man wird sich über
mich lustig machen, weiter nichts … Keine Eile. Morgen
früh.«
    Der ehemalige Handlungsreisende hielt schon die Türklinke in der
Hand. Noch einmal wandte er sich grinsend um und sagte:
    »Ihr wißt, meinetwegen mag Badinguet in die Luft fliegen. Es
wäre noch drolliger.«
    »Oh!« entgegnete der fromme Mann mit überzeugter, fast frommer
Miene; »der Kaiser fürchtet nichts, selbst wenn die Geschichte wahr wäre. Solche Anschläge sind
nie geglückt … Es gibt eine Vorsehung.«
    Das war sein letztes Wort.
    Du Poizat verabschiedete sich mit Gilquin, den er
freundschaftlich duzte. Als Rougon eine Stunde später um halb elf
Uhr Herrn Bouchard und dem Oberst gute Nacht sagte, reckte er die
Arme und sagte gähnend, wie er zuweilen tat:
    »Ich bin ganz erschöpft. Diese Nacht werde ich mal gut
schlafen.«
    Am folgenden Abend platzten drei Bomben vor der Oper unter dem
Wagen des Kaisers. Kopflose Bestürzung bemächtigte sich der Menge,
die sich in der Le Peletierstraße drängte. Über fünfzig Personen
waren verwundet. Eine Frau in blauseidenem Kleide lag mausetot im
Rinnstein. Zwei Soldaten wanden sich im Todeskampfe auf dem
Pflaster. Ein Adjutant, am Hinterkopfe verwundet, zeichnete seinen
Weg mit einer Blutspur. Im fahlen Gaslichte stieg der Kaiser heil
und gesund aus dem zertrümmerten Wagen und grüßte. Nur sein Hut war
von einem Bombensplitter durchlöchert.
    Rougon hatte den ganzen Tag ruhig daheim verbracht. Nur am
Morgen war er etwas erregt und bezeigte zweimal Lust, auszugehen.
Nachdem er jedoch gefrühstückt hatte, kam Clorinde, und mit ihr
verbrachte er den ganzen Nachmittag in seinem Arbeitszimmer. Sie
wollte ihn über eine verwickelte Angelegenheit befragen und schien
sehr niedergedrückt. Sie komme zu gar nichts, sagte sie. Sehr
gerührt von ihrer Traurigkeit, tröstete er sie, zeigte sich sehr
zuversichtlich und gab zu verstehen, daß alles sich wenden werde.
Die Ergebenheit und die Dienste seiner Freunde seien ihm
wohlbekannt; er werde selbst die Geringsten unter ihnen belohnen.
Beim Abschiede küßte er sie auf die Stirn. Nach dem Essen fühlte er
ein unwiderstehliches Bedürfnis auszugehen. Er schlug den geradesten Weg zu den Ufern
ein, die kühle Luft am Strome suchend. Es war ein sehr milder
Winterabend, dessen schwer bewölkter Himmel in düsterer Stille auf
der Stadt zu lasten schien. In der Ferne erstarb der Lärm der
Hauptstraßen. Er ging auf dem öden Fußwege mit gleichmäßigem
Schritt immer vor sich hin, wobei er mit seinem Rocke die Steine
der Brüstung streifte; die Lichterreihen, die sich im Dunkel der
Nacht gleich Sternen in die Unendlichkeit hinzogen und die
Grenzzeichen des malten Himmels zu sein schienen, gaben ihm eine
ins Endlose erweiterte Vorstellung von diesen Plätzen und Straßen,
deren Häuser er nicht mehr sah; je weiter er schritt, desto
riesiger schien ihm Paris, desto mehr nach seiner Größe
zugeschnitten und Luft genug für seine Brust bietend. Das
tiefschwarze Wasser, im Goldglanze lebendiger Schuppen schillernd,
hatte den tiefen, sanften Atem eines schlummernden Riesen, der zu
seinem ungeheuerlichen Traume die Begleitung gab. Als er gegenüber
dem Justizpalast stand, schlug eine Uhr neun. Er erzitterte und
wandte sich lauschend um; ihm

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