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Seine Exzellenz Eugène Rougon

Seine Exzellenz Eugène Rougon

Titel: Seine Exzellenz Eugène Rougon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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als Teile seines Ichs galten. Nach dem
Siege wurde heimlich weiter gearbeitet, die Bande wurden noch enger
geknüpft; er begann ihnen eine eifersüchtige Freundschaft zu
erweisen, er setzte seine Stärke darein, nicht allein zu sein, er
fühlte, wie seine Brust sich durch ihren Ehrgeiz weitete. Er vergaß
sogar, daß er sie früher heimlich verachtet hatte, und kam so weit,
sie als sehr klug, mächtig, nach seinem Ebenbilde geschaffen
anzusehen. Er wollte besonders, daß man ihn in ihnen achtete, er
verteidigte sie so nachdrücklich wie seine zehn Finger. Ihre
Beschwerden waren die seinigen. Er bildete sich schließlich ein,
ihnen viel zu verdanken, indem er lächelnd ihrer ausdauernden
Propaganda gedachte. Selbst bedürfnislos, teilte er seinen Freunden fette Bissen zu und empfand
dabei die Freude, um sich her Glanz und Glück zu verbreiten.
    Inzwischen herrschte im Kabinett noch immer drückendes
Schweigen. Herr d'Escorailles prüfte eben die Aufschrift eines
neuen Briefes und reichte ihn dann uneröffnet Rougon hin.
    »Von meinem Vater«, sagte er dabei.
    Der Marquis dankte dem Minister mit übertriebener Demut, daß er
Jules an seine Seite genommen. Rougon las langsam die beiden
engbeschriebenen Seiten. Er faltete den Brief zusammen, steckte ihn
ein und fragte, ehe er seine Arbeit fortsetzte:
    »Hat Du Poizat nicht geschrieben?«
    »Gewiß«, antwortete der Sekretär, einen Brief unter den anderen
hervorsuchend. »Er fängt an, in seine Präfektur sich einzuleben. Er
sagt, Deux-Sèvres und besonders Niort müssen von einer starken
Faust gezügelt werden.«
    Rougon durchflog den Brief und murmelte dann:
    »Er erhält die gewünschten Vollmachten … Antworten Sie ihm
nicht, mein Rundschreiben ist für ihn bestimmt.«
    Er nahm die Feder wieder auf und suchte nach einem passenden
Schluß. Du Poizat hatte Präfekt in Niort, seiner Heimat, werden
wollen; und der Minister blickte bei jeder wichtigen Entscheidung
auf Deux-Sèvres, um Frankreich nach den Ratschlägen und Wünschen
seines alten Leidensgenossen zu regieren. Endlich hatte er sein
vertrauliches Schreiben an die Präfekten beendigt, als Herr Kahn
plötzlich auffuhr:
    »Das ist doch scheußlich!«
    Er zeigte auf eine Stelle des Blattes, das er in Händen hielt
und fragte Rougon:
    »Haben Sie dies gelesen? … An der Spitze steht ein Artikel,
der die niedrigsten Leidenschaften aufstachelt. Hören Sie nur: Die strafende Hand muß schuldlos sein; denn
wenn die Gerechtigkeit irrt, lösen sich die Bande der Gesellschaft
von selbst. – Verstehen Sie? … Und in den ›Vermischten
Nachrichten‹! Da steht die Geschichte einer Gräfin, die der Sohn
eines Kornhändlers entführt hat. Solche Geschichten dürfte man
nicht durchgehen lassen. Das untergräbt die Achtung des Volkes vor
den höheren Klassen.«
    Herr d'Escorailles fiel ein:
    »Die Erzählung ist noch gräßlicher. Es ist die Rede von einer
wohlerzogenen Frau, die ihren Gatten betrügt. Dabei hat sie nicht
einmal Gewissensbisse.«
    Rougon sah schrecklich aus, als er erwiderte:
    »Ja, ja, auf diese Nummer bin ich schon aufmerksam gemacht
worden. Sie sehen, daß ich die Stellen mit Rotstift bezeichnet
habe … Dazu ist es ein Blatt, das auf unserer Seite steht!
Täglich muß ich es Zeile für Zeile entziffern. Selbst der Beste
taugt nichts, man muß ihnen allen den Hals abschneiden!«
    Mit zusammengekniffenen Lippen fuhr er fort:
    »Ich habe den Direktor des Blattes holen lassen. Ich erwarte
ihn.«
    Der Oberst hatte das Blatt Herrn Kahn aus den Händen genommen.
Auch er äußerte seine Entrüstung und gab dann das Blatt Herrn
Béjuin, der seinerseits ganz außer sich geriet. Rougon saß, die
Ellbogen auf den Schreibtisch gestützt, mit halbgeschlossenen
Augenlidern sinnend da.
    »Da fällt mir ein«, wandte er sich an seinen Sekretär. »Der arme
Huguenin ist gestern gestorben. Man muß jemanden für die erledigte
Inspektorstelle ernennen.«
    Als die drei Freunde vor dem Kamin lebhaft die Köpfe wandten,
fuhr er fort:
    »Eine Stelle ohne Bedeutung. Sechstausend Franken Gehalt.
Allerdings ist auch nichts zu tun.«
    Aber er wurde unterbrochen. Die Tür eines
benachbarten Zimmers hatte sich geöffnet, und er rief:
    »Herein, herein, Herr Bouchard! Ich wollte Sie eben holen
lassen.«
    Herr Bouchard, seit einer Woche Abteilungsvorstand, brachte eine
Arbeit über die Bürgermeister und Präfekten, die um das Offiziers-
oder Ritterkreuz der Ehrenlegion baten. Rougon hatte an die
Würdigsten fünfundzwanzig

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