Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Seine Exzellenz Eugène Rougon

Seine Exzellenz Eugène Rougon

Titel: Seine Exzellenz Eugène Rougon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
Vom Netzwerk:
Beispiel mag es noch hingehen … «
    Er hielt inne, er war im Begriffe, sich entschlüpfen zu lassen,
daß er ihr Herrn d'Escorailles gestatte. Allmählich beruhigte er
sich und gewann seine ganze Würde wieder. Er hieß sie sich setzen,
da er sah, daß ein leichtes Zittern sie überfiel; er selbst blieb
stehen und las ihr gehörig den Text. Es war eine wohlstilisierte
Predigt. Sie verletze alle göttlichen und menschlichen Gesetze, sie
wandele an einem Abgrunde, schände den häuslichen Herd, bereite
sich selbst ein Alter voller Gewissensbisse vor; und da er auf
ihren Lippen ein leises Lächeln zu gewahren glaubte, entwarf er
eine Schilderung dieses Alters: die Schönheit verwelke, das Herz
bleibe leer für immer, die Stirn erröte unter den weißen Haaren.
Dann prüfte er ihren Fehltritt vom Standpunkte der Gesellschaft
aus; hier wurde er besonders streng, denn hatte sie auch in seinen
Augen die Entschuldigung einer leicht erregbaren Natur für sich, so
war doch das schlechte Beispiel, das sie gab, unverzeihlich; das
führte ihn darauf, gegen die moderne
Sittenlosigkeit, die schamlosen Ausschreitungen der Gegenwart zu
donnern. Endlich kam er auf sich selbst zu reden. Er war der Hüter
der Gesetze. Er durfte seine Macht nicht dazu mißbrauchen, das
Laster zu ermutigen. Eine Regierung ohne Tugend schien ihm ein
Unding. Er schloß damit, daß er seine Gegner aufforderte, in seiner
Verwaltung ein einziges Beispiel von Vetterngunst nachzuweisen,
eine einzige Gunst, die durch Ränke erlangt sei.
    Die niedliche Frau Bouchard hörte ihn gesenkten Hauptes und
zusammengekauert an, wobei man ihren zarten Hals unter dem
Nackenschleier ihres rosa Hutes sah. Als er seinem Herzen Luft
gemacht hatte, ging sie stumm zur Tür. Aber als sie beim
Hinausgehen die Hand auf die Türklinke legte, hob sie den Kopf und
murmelte lächelnd:
    »Er heißt Georg Duchesne: ist erster Beamter in der Abteilung
meines Mannes und möchte gern zweiter Vorstand werden … «
    »Nein, nein!« schrie Rougon.
    Sie ging und maß ihn mit dem verächtlichen Blicke der
verschmähten Frau. Sie schritt zögernd, zog langsam ihre Schleppe
nach, als wolle sie das Bedauern um ihren Besitz zurücklassen.
    Der Minister kehrte mit müdem Ausdruck in sein Kabinett zurück.
Er hatte Merle einen Wink gegeben, und dieser folgte ihm. Die Tür
war halb offen geblieben.
    »Der Herr Direktor der ›Volksstimme‹, den Eure Exzellenz zu
sehen wünschte, ist eben gekommen«, meldete der Türsteher
halblaut.
    »Sehr gut!« antwortete Rougon. »Aber ich werde zuerst die
Beamten empfangen, die solange schon gewartet haben.«
    In diesem Augenblick erschien ein Kammerdiener in der Tür, die
zu den Privatgemächern führte. Er meldete, das Frühstück sei
bereit, und Frau Delestang erwarte Seine Exzellenz im Salon. Der Minister fuhr lebhaft auf und
befahl:
    »Sagen Sie, daß aufgetragen werde! Um so schlimmer! Ich werde
nachher empfangen. Ich falle um vor Hunger.«
    Er drehte sich um und warf einen Blick in das Vorzimmer, das
noch immer voll war. Kein Beamter, kein Bittsteller hatte sich vom
Flecke gerührt. Die drei Präfekten plauderten in ihrer Ecke, die
beiden Damen am Tische stützten sich etwas ermüdet auf ihre Finger;
dieselben Köpfe lehnten sich noch an derselben Stelle in die
rotsamtenen Sessel. Darauf verließ er sein Kabinett und beauftragte
Merle, den Präfekten der Somme und den Direktor des ›Voeu national‹
dazubehalten.
    Frau Rougon war etwas leidend und deshalb tags zuvor auf einen
Monat nach dem Süden gereist; sie hatte in der Gegend von Pau einen
Oheim. Delestang befand sich mit einer sehr wichtigen Sendung
betreffs einer landwirtschaftlichen Frage betraut, seit sechs
Wochen in Italien. Deshalb hatte der Minister Clorinde, die mit ihm
länger zu sprechen wünschte, zu einem Junggesellenfrühstück ins
Ministerium geladen.
    Sie wartete geduldig, in einer Abhandlung über Verwaltungsrecht
blätternd, die auf einem Tische, lag.
    »Ihnen muß der Magen auch schon schief hängen«, sagte er
vergnüglich. »Ich bin heute vormittag wirklich überschwemmt
worden.«
    Er bot ihr den Arm und führte sie in den Speisesaal, einen
gewaltigen Raum, worin die beiden Gedecke auf einem Tischchen am
Fenster fast verschwanden. Zwei lange Lakaien warteten auf. Rougon
und Clorinde, im Essen und Trinken beide sehr mäßig, aßen schnell
einige Radieschen, eine Schnitte kalten Lachs, Koteletten mit Brei
und etwas Käse. Den Wein berührten sie nicht. Rougon

Weitere Kostenlose Bücher