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Seine Exzellenz Eugène Rougon

Seine Exzellenz Eugène Rougon

Titel: Seine Exzellenz Eugène Rougon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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Weibern!« wiederholte Rougon und
hielt bei jedem Worte inne, um in die Aktenbündel zu blicken. »Wenn
die Weiber Ihnen nicht eine Krone auf das Haupt setzen, legen sie
Ihnen einen Strick um den Hals … In unseren Jahren muß man
sein Herz so gut wie seinen Magen hüten.«
    In diesem Augenblick entstand ein großer Lärm im Vorzimmer; man
hörte Merles Stimme, der den Eintritt verweigerte. Vergeblich; ein
kleiner Mann drängte sich herein mit den Worten:
    »Zum Teufel, ich muß meinem lieben Freunde guten Tag sagen!«
    »Siehe da! Du Poizat!« rief Rougon, ohne sich zu erheben.
    Als Merle anfing, sich eifrig zu entschuldigen, hieß er ihn, die
Tür schließen. Dann sagte er ruhig:
    »Ich glaubte Sie in Bressuire… Man läßt also seine
Unterpräfektur im Stich wie eine alte Liebschaft, wie?«
    Du Poizat, schmächtig, mit unansehnlichem Gesicht und sehr
weißen, schlecht stehenden Zähnen, zuckte leicht die Achseln und
erwiderte:
    »Ich bin erst seit heute früh in Geschäften hier und wollte
Ihnen erst am Abend in der Marbeufstraße guten Tag sagen. Ich hätte
mich zu Tische eingeladen… Aber nachdem ich den Moniteur
gelesen.
    Er zog einen Stuhl vor den Tisch und pflanzte sich gerade vor
Rougon hin.
    »Was geht denn vor? Ich komme vom Lande, von Deux-Sèvres, hatte
wohl geahnt, daß etwas sich vorbereite, war aber weit entfernt zu vermuten… Warum haben Sie mir
nicht geschrieben?«
    Rougon zuckte die Achseln. Offenbar hatte Du Poizat draußen
erfahren, daß er in Ungnade gefallen, und war gekommen, um. zu
sehen, ob es kein Mittel gebe, etwas aus dem Schiffbruch zu retten.
Er durchschaute ihn bis ins Mark, indem er sagte:
    »Ich würde Ihnen heute abend geschrieben haben … Reichen
Sie Ihre Entlassung ein, mein Lieber!«
    »Das eben wollte ich wissen; ich werde es tun«, versetzte Du
Poizat einfach.
    Damit erhob er sich pfeifend. Indem er mit kleinen Schritten auf
und ab trippelte, gewahrte er Delestang, der inmitten eines Haufens
Kartons auf dem Teppich kniete. Er ging leise zu ihm und reichte
ihm die Hand. Dann zog er eine Zigarre hervor und zündete sie an
der Kerze an.
    »Man darf doch rauchen; hier wird ja gepackt«, sagte er und ließ
sich wieder in den Sessel nieder. »Ein ergötzliches Ding, das
Ausziehen!«
    Rougon hatte sich in ein Bündel Papiere versenkt, die er sehr
aufmerksam las. Er sichtete sie sorgfältig, verbrannte die einen
und behielt die anderen. Du Poizat beobachtete ihn, den Kopf
zurückgelehnt und zuweilen leichte Rauchringel aus den Mundwinkeln
ausstoßend. Sie hatten sich einige Monate vor der Februarrevolution
kennengelernt, als sie beide bei Frau Courreur im Hotel Kibitz,
Kibitzstraße, wohnten. Du Poizat hauste dort als engerer Landsmann,
denn er war wie Frau Correur in Coulonges, einem Städtchen des
Bezirks Niort, geboren. Sein Vater war Gerichtsvollzieher und hatte
ihn die Rechte studieren lassen, wozu er ihm in Paris monatlich
hundert Franken aussetzte, obgleich er hübsche Summen erwuchert
hatte. Das Vermögen des Biedermannes blieb
so unerklärlich, daß man ihm sogar nachsagte, er habe in einem
alten Schrein, den er gepfändet hatte, einen Schatz gefunden. Seit
Anfang der bonapartistischen Propaganda benutzte Rougon diesen
schmächtigen Gesellen, der wütend und mit beunruhigendem Lächeln
seine hundert Franken monatlich verzehrte; er hatte mit ihm in den
heikelsten Angelegenheiten unter einer Decke gespielt. Als später
Rougon in die gesetzgebende Versammlung eintreten wollte, war es Du
Poizat, der seine Wahl mit schweren Kämpfen zu Deux-Sèvres
durchsetzte. Nach dem Staatsstreiche erwirkte Rougon ihm dafür die
Ernennung zum Unterpräfekten in Bressuire. Der junge Mann, kaum
dreißig Jahre alt, hatte in seiner Heimat triumphieren wollen
wenige Meilen von seinem Vater, dessen Geiz ihn quälte, seit er die
Schule verlassen.
    »Und wie geht es dem Vater Du Poizat?« fragte Rougon ohne
aufzublicken.
    »Nur zu gut«, versetzte der Sohn verdrossen. »Er hat seine
letzte Haushälterin fortgejagt, weil sie drei Pfund Brot aß. Jetzt
hat er hinter seiner Türe zwei geladene Gewehre, und wenn ich ihn
besuchen will, muß ich mit ihm über die Hofmauer hinweg
verhandeln.«
    Während er sprach, hatte sich Du Poizat vorgebeugt und wühlte
mit den Fingern in der Bronzeschale zwischen den halbverbrannten
Papierfetzen. Rougon bemerkte es und erhob lebhaft den Kopf. Er
hatte immer eine geheime Angst vor seinem alten Genossen gehabt,
dessen weiße, unregelmäßige Zähne an die eines

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