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Seine Exzellenz Eugène Rougon

Seine Exzellenz Eugène Rougon

Titel: Seine Exzellenz Eugène Rougon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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«
    »Romane lese ich niemals«, erklärte Rougon trocken.
    Jener erhob mit einer Gebärde schamhafter Abwehr die Augen gen Himmel, als wolle er sich durch einen
Schwur gegen den skandalösen Verdacht verwahren, je Romane zu
lesen. Er erklärte sich dahin:
    »Ich wollte nur sagen: Die Romane besonders sind ein wahres
Gift, das der ungesunden Neugier der Menge vorgesetzt wird.«
    »Gewiß«, nahm der Minister des Innern wieder das Wort. »Aber es
gibt noch andere, ebenso gefährliche Werke, worin die
Schriftsteller sich bemühen, dem Begriffsvermögen der Bauern und
Arbeiter einen mundgerechten Brei von Sozialwissenschaften, und
Volkswirtschaft vorzusetzen, dessen augenfälligste Wirkung die ist,
schwache Köpfe zu verwirren … Eben, ist ein Buch dieser Art
›Die Vorleseabende des wackeren Jakob‹ zur Prüfung vorgelegt
worden. Es handelt von einem Sergeanten, der in sein Dorf
zurückgekehrt, jeden Sonntag mit dem Schulmeister vor etwa zwanzig
Arbeitern Zwiegespräche führt. Jedes Gespräch behandelt einen
besonderen Gegenstand: neue Methoden für den Ackerbau,
Arbeiterverbände, die bedeutende Rolle des Werterzeugers in der
Gesellschaft. Ich habe das Buch gelesen, nachdem ein Beamter mich
darauf aufmerksam gemacht hat; und ich habe es um so bedenklicher
gefunden, als es verderbliche Lehren im Tone der Bewunderung für
die Einrichtungen des Kaiserreiches vorträgt. Man darf sich darüber
keiner Täuschung hingeben, es ist das Werk eines Demagogen. Ich war
daher sehr überrascht, es von mehreren Mitgliedern der Kommission
loben zu hören. Ich habe gewisse Stellen mit ihnen besprochen, ohne
sie dem Anscheine nach zu überzeugen. Sie haben mich versichert,
der Verfasser habe Seiner Majestät sogar ein Huldigungsexemplar
überreicht … Demnach, Majestät, glaubte ich, bevor ich den
geringsten Druck ausübte, Ihre und des Ministerrates Meinung
einholen zu solle«.«
    Er blickte den Kaiser fest an, dessen unstet
schweifende Augen schließlich auf einem Papiermesser haften
blieben, das vor ihm lag. Er ergriff es, drehte es zwischen den
Fingern und flüsterte:
    »Ja, ja, die Vorleseabende des wackeren Jakob … «
    Er hielt inne und schielte rechts und links die Tafel
hinunter.
    »Haben Sie vielleicht das Buch gelesen, meine Herren«? Ich
möchte gern wissen … «
    Er verschluckte den Schluß das Satzes wie gewöhnlich. Die
Minister warfen einander: verstohlene Blicke zu; jeder rechnete
darauf, sein Nachbar werde eine eigene Ansicht haben. Das Schweigen
wurde nachgerade peinlich; offenbar hatte keiner auch nur eine
Ahnung von dem Buche. Endlich machte der Kriegsminister im Namen
aller seiner Genossen eine Gebärde des Nichtwissens. Der Kaiser
drehte seinen Schnurrbart, er hatte offenbar keine Eile und fragte
weiter:
    »Und Sie, Herr Delestang?«
    Delestang rückte auf seinem Sitze hin und her, wie wenn er in
seinem Innern einen schweren Kampf kämpfe. Diese direkte Frage
brachte ihn zum Entschluß. Bevor er jedoch antwortete, warf er
unwillkürlich einen Blick auf Rougon.
    »Ich habe das Buch in Händen gehabt, Majestät.«
    Er hielt inne, da er die großen grauen Augen Rougons auf sich
geheftet sah. Angesichts der augenscheinlichen Befriedigung des
Kaisers fuhr er jedoch fort, wenngleich seine Lippen zitterten:
    »Ich bedaure, nicht derselben Ansicht zu sein wie mein Freund
und Kollege, der Herr Minister des Innern … Gewiß, das Buch
könnte einige Beschränkungen enthalten und außerdem die vorsichtige
Bedächtigkeit betonen, ohne die kein wahrhaft ersprießlicher
Fortschritt möglich ist. Aber deshalb scheinen mir die
Vorleseabende des wackeren Jakob nicht
minder ein Werk, das in bester Absicht geschrieben ist. Die
Wünsche, die darin für die Zukunft ausgedrückt sind, treten nicht
im geringsten den bestehenden Einrichtungen zu nahe. Sie sind im
Gegenteil ihre mit Recht erwarteten Früchte.«
    Er hielt inne. So sehr er sich auch bemühte, sein Gesicht dem
Kaiser zuzuwenden, sah er dennoch auf der andern Seite des Tisches
die ungeheure Masse Rougons, der mit aufgestützten Armen und mit
vor Überraschung bleichem Gesichte dasaß. Für gewöhnlich war
Delestang stets der Ansicht des großen Mannes; deshalb hoffte
dieser den aufrührerischen Schüler durch ein Wort zum Gehorsam
zurückzuführen und rief, indem er die Hände ineinanderschlang und
knacken ließ:
    »Man müßte ein Beispiel vorbringen. Leider habe ich das Buch
nicht bei mir … Doch entsinne ich mich eines Kapitels. Der
brave Jakob redet von

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