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Seine Exzellenz Eugène Rougon

Seine Exzellenz Eugène Rougon

Titel: Seine Exzellenz Eugène Rougon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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vergißt nichts!«
    Rougon, den Bilder gewöhnlich langweilten, war hingerissen. In
diesem Augenblicke ging ihm das Verständnis für die Kunst auf, und
er urteilte im Tone festester Überzeugung:
    »Das ist wundervoll gezeichnet!«
    »Und die Farbe ist vorzüglich!« fügte Herr von Plouguern hinzu…
Diese Schultern sind lebendiges Fleisch… Der Busen sehr angenehm.
Besonders die linke Brust ist von rosiger Frische… Und diese Arme!
Die Kleine hat erstaunliche Arme! Diese Rundung oberhalb der
Pulsader gefällt mir sehr, sie ist vollendet.«
    Dann wandte er sich zu dem Maler:
    »Herr Pozzo, zu dieser Leistung wünsche ich Ihnen von Herzen
Glück. Ich habe schon ein »badendes Mädchen« von Ihnen gesehen;
aber dies Bild wird noch weit besser … Warum stellen Sie nicht
aus? Ich habe einen Diplomaten gekannt, der vorzüglich geigte und
dennoch seinen Weg gemacht hat.«
    Luigi verbeugte sich sehr geschmeichelt. Inzwischen hatte jedoch
das Tageslicht stark abgenommen, und da er ein Ohr noch vollenden
wollte, bat er Clorinde, ihre Stellung noch zehn Minuten
einzunehmen. Herr von Plouguern und Rougon fuhren fort, über Kunst
zu plaudern. Letzterer gestand, daß anderweitige Beschäftigungen
ihn gehindert hätten, die Entwicklung der Kunst in den letzten
Jahren zu verfolgen, aber er äußerte die lebhafteste Bewunderung
dafür. Ja, er erklärte, die Farbe lasse ihn ziemlich kühl, eine
schöne Zeichnung befriedige ihn vollkommen, eine Zeichnung, die
fähig sei, den Geist zu großen Gedanken zu erheben. Herr von
Plouguern seinerseits liebte nur die Alten; er hatte alle Museen
Europas besucht und begriff nicht, wie man
so kühn sein konnte, noch weiterzumalen. Vergangenen Monat jedoch
habe er einen kleinen Salon durch einen Künstler ausschmücken
lassen, den niemand kannte und der dennoch sehr begabt war.
    »Er hat mir kleine Liebesgötter gemalt, Blumen und Blätterwerk,
ganz vorzüglich! Man möchte wirklich die Blumen pflücken.
Dazwischen Insekten, Schmetterlinge, Fliegen, Maikäfer, daß man
glaubt, sie leben. Kurz, es ist sehr lustig, und ich für mein Teil
liebe die heitere Malerei… «
    »Die Kunst ist auch nicht da, um uns zu langweilen«, fügte
Rougon hinzu.
    Während sie so nebeneinander auf und ab gingen, trat Herr von
Plouguern unversehens auf etwas, das mit dem Geräusch einer
Knallerbse platzte, und er rief:
    »Was ist denn das?«
    Er hob einen Rosenkranz auf, der von dem Sessel herabgeglitten
war, auf den Clorinde sicherlich den Inhalt ihrer Taschen geleert
hatte. Eine der Glasperlen neben dem Kreuz war zermalmt; an dem
Kreuze selbst, das ganz klein und aus Silber war, hatte sich der
eine Arm verbogen und abgeplattet. Der Greis schwenkte es in der
Luft und fragte mit spöttischem Lächeln:
    »Höre, Schätzchen, was lassest du dieses Spielzeug hier
herumliegen?«
    Clorinde aber war purpurrot geworden. Mit geschwellten Lippen
und zornfunkelnden Augen bedeckte sie sich hastig die Schultern,
sprang vom Tisch herab und stammelte:
    »Böser, böser Mann! Er hat meinen Rosenkranz zerbrochen!«
    Damit entriß sie ihn seinen Händen und weinte wie ein Kind.
    »Na, na«, sagte Herr von Plouguern noch
immer lachend. »Seht die kleine Fromme! Neulich hätte sie mir
beinahe die Augen ausgekratzt, weil ich in ihrem Schlafzimmer ein
Buchsbaumzweiglein bemerkt hatte und sie fragte, was sie mit diesem
kleinen Besen ausfege? … Weine doch nicht, dickes Schaf! Ich
habe dem lieben Herrgott nichts gebrochen!«
    »Doch, doch, Sie haben ihm weh getan!« rief sie.
    Sie duzte ihn nicht mehr. Mit zitternden Händen entfernte sie
die Glassplitter und bemühte sich, immer heftiger schluchzend, das
Kreuz wieder herzurichten, wischte es mit den Fingerspitzen ab, als
habe sie Bluttropfen darauf gesehen, und murmelte:
    »Der Papst selbst hat es mir geschenkt, das erstemal, als ich
ihn mit Mama besuchte. Er kennt mich sehr genau und nennt mich
seinen ›schönen Apostel‹, weil ich ihm eines Tages gesagt habe, ich
würde gern für ihn sterben. Der Rosenkranz brachte mir Glück. Jetzt
wird er keine Kraft mehr haben; er wird den Teufel anlocken… «
    »Dann gib ihn mir, Schätzchen«, sagte Herr von Plouguern. »Du
wirst dir die Nägel verderben, wenn du es wieder in Ordnung bringen
willst… Silber ist hart, mein Schatz!«
    Er hatte den Rosenkranz wieder an sich genommen und suchte
vorsichtig, um ihn nicht zu zerbrechen, den Arm des Kreuzes
geradezubiegen. Clorinde weinte nicht mehr, sondern sah ihm sehr
aufmerksam zu. Auch

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