Seine Exzellenz Eugène Rougon
Runzeln ihrer schönen Augenbrauen wieder zum
Schweigen.
»Niemals!« wiederholte Rougon entschieden. Er hatte sich erhoben
und sah so furchtbar aus, daß niemand ein Wörtchen zu äußern wagte.
Gleich darauf aber ließ er sich wie abgespannt in den Sessel
zurücksinken und flüsterte:
»Seht, da bringt ihr auch mich zum Schreien. Ich bin jetzt ein
friedlicher Bürger und habe mit all diesen Geschichten nichts zu
tun, was mich sehr freut. Wollte Gott, der Kaiser brauchte mich gar
nicht mehr!«
In diesem Augenblick öffnete sich die Tür. Er legte den Finger
auf den Mund und hauchte:
»Pst!«
Der Ankömmling war Herr La Rouquette. Rougon hatte ihn im
Verdacht, daß seine Schwester, Frau von Llorentz, ihn gesandt habe,
um auszukundschaften, was man bei ihm spreche. Herr von Marsy, obgleich seit kaum einem
halben Jahre verheiratet, hatte mit dieser Dame sein früheres
Liebesverhältnis wieder angeknüpft, das zwei Jahre gedauert hatte.
Man sprach also seit dem Eintritte des jungen Abgeordneten nicht
mehr über Politik, und der Salon nahm seine vornehme Ruhe wieder
an. Rougon selbst holte einen großen Lichtschirm und setzte ihn auf
die Lampe, so daß man in dem engen Lichtkreise nichts mehr sah als
die dürren Hände des Obersten und des Herrn Bouchard, die
abwechselnd die Karten hinwarfen. Am Fenster erzählte Frau
Charbonnel leise der Frau Correur von ihren Sorgen, wobei Herr
Charbonnel jede Einzelheit mit einem tiefen Seufzer begleitete: sie
waren jetzt fast zwei Jahre in Paris, und ihr verdammter Prozeß
nahm kein Ende; noch Tags zuvor hatten sie sich entschließen
müssen, je sechs neue Hemden zu kaufen, weil die Entscheidung
abermals hinausgeschoben worden. Hinter ihnen neben einem Vorhange
schien Frau Bouchard, von der Hitze ermattet, eingeschlafen zu
sein. Herr d'Escorailles hatte sich wieder zu ihr gesellt; und da
niemand sie beobachtete, besaß er die Kühnheit, einen langen Kuß
auf ihre halbgeöffneten Lippen zu drücken. Sie öffnete die Augen
weit und sah ihn sehr ernst an, ohne sich zu rühren.
»Mein Gott, nein!« sagte Herr La Rouquette eben; »ich bin nicht
in das Varietétheater gegangen. Ich habe die Generalprobe des
Stückes gesehen. Ein rasender Erfolg, eine lustige Musik! Das wird
ganz Paris auf die Beine bringen … Ich habe eine Arbeit vor,
die ich beenden muß.«
Inzwischen hatte er den Herren die Hand gedrückt und artig
Clorindens Handknöchel über dem Handschuh geküßt. Er stand jetzt
da, an einen Sessel gelehnt, lächelnd, in tadelloser Haltung. Die
Art und Weise, wie er seinen Überrock zugeknöpft hatte, verriet
eine gewisse Wichtigtuerei.
»Übrigens«, wandte er sich an den Hausherrn, »kann
ich Ihnen für Ihr großes Werk eine Quelle
nennen, eine sehr interessante Studie über die englische
Verfassung; sie ist in einer Wiener Zeitschrift erschienen …
Machen Sie Fortschritte?«
»Langsam«, versetzte Rougon. »Ich bin bei einem Kapitel, das mir
viel Kopfzerbrechen verursacht.«
Gewöhnlich machte es ihm Vergnügen, den jungen Abgeordneten
reden zu lassen, denn er erfuhr durch ihn alles, was sich in den
Tuilerien zutrug. Überzeugt, daß er diesmal gesandt sei, um seine
Ansicht über den Sieg der Regierungskandidaten zu erforschen, wußte
er, ohne ein einziges mitteilenswertes Wort fallen zu lassen, ihm
eine Menge Neuigkeiten zu entlocken. Zunächst beglückwünschte er
ihn zu seiner Wiederwahl und begnügte sich dann seinerseits, die
Unterhaltung nur durch Gebärden zu führen. Der andere, entzückt,
daß er allein das Wort hatte, redete ununterbrochen weiter. Der Hof
schwamm in Wonne, der Kaiser hatte das Ergebnis der Wahlen zu
Plombières erfahren und sollte beim Empfang der Nachricht auf einen
Stuhl gesunken sein, da in seiner freudigen Aufregung die Beine ihm
den Dienst versagten. Indessen mischte sich eine gewisse Unruhe in
den Siegesjubel: Paris hatte bei den Wahlen eine schnöde
Undankbarkeit gezeigt.
»Man wird Paris einen Maulkorb anlegen 1« versetzte Rougon, ein
neues Gähnen unterdrückend, als langweile ihn der Wortschwall des
Herrn La Rouquette.
Es schlug zehn Uhr. Frau Rougon schob einen kleinen Tisch in die
Mitte des Zimmers und trug den Tee auf. Um diese Zeit pflegten sich
kleine Gruppen in den Ecken zu bilden. Herr Kahn stand mit der
Tasse in der Hand vor Delestang, – der nie Tee trank, weil er ihn
aufregte – und berichtete neue Einzelheiten über seine Reise in die
Vendee; sein Hauptunternehmen, die Konzession zum Bau einer
Bahn von Niort
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