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Seine Exzellenz Eugène Rougon

Seine Exzellenz Eugène Rougon

Titel: Seine Exzellenz Eugène Rougon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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eine
durch, daß sie sich kleidete wie alle
Welt. Sie war übrigens sehr scharfsinnig, vom Scharfsinne der
Narren, die in Gegenwart von Fremden lichte Stunden haben. In
manchen Häusern begegnete er ihr, wie sie mit großer Zurückhaltung
ihren Mann in den Vordergrund treten ließ und sich durchaus
geziemend betrug inmitten der allgemeinen Bewunderung, die ihre
große Schönheit erregte. Bei ihr traf er oft Herrn von Plouguern,
und sie scherzte unter den Moralpredigten, womit beide sie
überschwemmten, wobei der alte Senator ihr vertraulich die Wangen
tätschelte; so sehr dies Rougon mißfiel, wagte er doch nicht, sich
darüber zu äußern. Kühner war er in betreff Luigi Pozzos, des
italienischen Gesandtschaftssekretärs, den er wiederholt zu
auffälliger Zeit aus ihrer Wohnung hatte kommen sehen. Als er der
jungen Frau zu verstehen gab, wie sehr dies ihrem Rufe schaden
könne, schlug sie mit ihrem bezaubernd erstaunten Ausdruck die
Augen zu ihm auf, um dann in ein tolles Gelächter auszubrechen. Sie
mache sich viel aus der öffentlichen Meinung! In Italien nehmen die
Frauen den Besuch der Männer an, die ihnen gefallen, und niemand
denke etwas Arges dabei. Übrigens zähle Luigi nicht, er sei ihr
Vetter und bringe ihr kleine Mailänder Kuchen aus der Passage
Colbert.
    Doch die Politik blieb Clorindens Hauptsorge. Seit ihrer
Verheiratung wandte sie ihren ganzen Scharfsinn auf fragwürdige und
verwickelte Geschichten, deren Belang niemand recht erkannte. Sie
befriedigte hier ihr Bedürfnis, Ränke zu spinnen, für das sie
solange in ihren Verführungskünsten gegenüber den Männern mit einer
großen Zukunft Befriedigung gesucht; und sie schien sich so zu
größeren Unternehmungen vorbereitet zu haben, indem sie bis zum
zweiundzwanzigsten Jahre den Männern nachgestellt hatte. Jetzt
unterhielt sie einen sehr lebhaften Briefwechsel mit
ihrer Mutter, die sich in Turin
niedergelassen hatte. Fast täglich ging sie zur italienischen
Gesandtschaft, wo der Ritter Rusconi sie beiseitenahm und leise,
hastig mit ihr sprach. Dann unternahm sie unbegreifliche Gänge nach
allen Ecken und Enden von Paris, stattete hohen Personen heimliche
Besuche ab und hatte in abgelegenen Stadtvierteln Zusammenkünfte.
Alle Flüchtlinge aus Venedig, die Brambilla, die Staderino, die
Viscardi trafen sie heimlich und steckten ihr beschriebene Zettel
zu. Sie hatte eine ungeheure Mappe aus rotem Saffian mit
Stahlschloß, eines Ministers würdig, gekauft, worin sie eine Menge
Schriftstücke barg. Im Wagen hielt sie die Mappe wie einen Muff auf
dem Schoße; wohin sie ging, nahm sie sie unter dem Arme mit; ja
schon in den Morgenstunden begegnete man ihr, wie sie die Mappe mit
beiden Händen an die Brust drückte, daß ihr die Finger steif
wurden. Es dauerte nicht lange, so platzten die Nähte, worauf sie
ihr Kleinod mit Gurten zusammenschnallte. Stets mit diesem
unförmlichen, von Papierbündeln strotzenden Ledersacke beladen,
glich sie trotz ihrer hellen Kleider mit langer Schleppe einem
verkommenen Advokaten, der bei allen Friedensgerichten umherläuft,
um hundert Sous zu verdienen.
    Wiederholt hatte Rougon versucht, diesen wichtigen Geschäften
Clorindens auf den Grund zu kommen. Als er eines Tages mit der
berühmten Mappe allein war, hatte er kein Bedenken getragen, die
Briefe hervorzuziehen, deren Zipfel durch die Risse hervor lugten.
Aber was er in dieser oder in ähnlicher Weise erfuhr, schien ihm so
unzusammenhängend und lückenhaft, daß er über die politischen
Bestrebungen der jungen Frau lächelte. Eines Nachmittags erklärte
sie ihm in aller Ruhe ihren Riesenplan: sie arbeitete auf ein
Bündnis zwischen Frankreich und Italien hin für den Fall eines
bevorstehenden Krieges gegen Österreich. Einen
Augenblick sehr überrascht, zuckte Rougon
schließlich nur die Achseln angesichts der Tollheiten, die sie in
ihren Plan mengte. Er sah in ihren Bemühungen lediglich ein
Steckenpferd besonderer Art und änderte deshalb seine Ansicht über
die Weiber nicht im mindesten. Clorinde fügte sich übrigens willig
in die Rolle der Schülerin. Wenn sie ihn besuchte, trat sie sehr
demütig, ja unterwürfig auf, fragte ihn und lauschte seinen Worten
mit dem Eifer eines lernbegierigen Anfängers. Er vergaß dabei oft
ganz, mit wem er redete, erläuterte ihr sein Regierungssystem und
erging sich in sehr bestimmten Bekenntnissen. Allmählich wurden
diese Unterhaltungen beiden zur Gewohnheit: er nahm sie zur
Vertrauten, erleichterte sich von der Last des

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