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Seine Exzellenz Eugène Rougon

Seine Exzellenz Eugène Rougon

Titel: Seine Exzellenz Eugène Rougon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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Schweigens, das er
selbst seinen besten Freunden gegenüber beobachtete, und behandelte
sie wie eine zuverlässige Schülerin, deren achtungsvolle
Bewunderung ihn entzückte.
    Während der Monate August und September wurden Clorindens
Besuche immer häufiger; sie kam jetzt drei-, viermal wöchentlich.
Nie hatte sie solche Schülerinzärtlichkeit bezeigt. Sie sagte
Rougon allerlei Schmeicheleien, begeisterte sich für seine Begabung
und sprach von den großen Taten, die er vollbracht haben würde,
wenn er sich nicht zurückgezogen hätte. In einem Augenblick, da er
sie zu durchschauen glaubte, fragte er sie einst lachend:
    »Sie bedürfen meiner also?«
    »Gewiß!« versetzte sie kühn.
    Aber sie nahm sofort ihre Miene bewundernder Begeisterung wieder
an. Die Politik unterhalte sie besser als ein Roman, sagte sie.
Wenn er den Rücken wandte, öffnete sie die Augen weit, und es
flammte darin auf wie alter, aber noch immer lebendiger Groll. Oft
ließ sie ihre Hände in den seinigen, als ob sie sich noch zu
schwach fühle, und mit zitternden Handknöcheln schien sie auf den
Augenblick zu warten, wo sie ihm genug von
seiner Kraft entlockt haben würde, um ihn zu erwürgen.
    Was Clorinde besonders beunruhigte, war Rougons wachsende
Trägheit. Sie sah, wie er in seiner Langeweile einschlief. Anfangs
hatte sie genau unterschieden, was in seiner Haltung Gemachtes war;
aber jetzt begann sie bei all ihrem Scharfsinn ihn wirklich für
entmutigt zu halten. Seine Bewegungen wurden schwerfällig, seine
Stimme matt, und zu Zeiten war er so gleichgültig, so gemütlich,
daß die junge Frau sich erschreckt fragte, ob er sich nicht
schließlich darein ergeben würde, als abgenützter Staatsmann in den
Senat versetzt zu sein.
    Gegen Ende September schien Rougon sehr nachdenklich zu werden.
Endlich gestand er ihr während eines ihrer gewöhnlichen
Zwiegespräche, daß er einen großen Plan hege: er langweile sich in
Paris und brauche frische Luft. Er sprach in einem Zuge: Er wolle
ein neues Leben beginnen, sich freiwillig in den Kreis Landes
verbannen, dort mehrere Geviertmeilen Boden unter den Pflug nehmen
und auf dem urbar gemachten Boden seine Stadt gründen. Clorinde
hörte ihm, ganz bleich geworden, zu und rief:
    »Aber Ihre Stellung hier, Ihre Hoffnungen!«
    »Luftschlösser!« murmelte er mit einer Gebärde der
Geringschätzung … »Sie sehen, ich bin entschieden nicht für
die Politik geschaffen.«
    Er kam wieder auf seinen Lieblingsplan zurück, Großgrundbesitzer
zu werden, große Herden zu halten und zu beherrschen. Aber einmal
in den Landes, wuchs sein Ehrgeiz: er wollte ein neues Land
erobern, bevölkern und darin König sein. Dabei führte er unendliche
Einzelheiten an; seit vierzehn Tagen las er hierüber Fachwerke,
ohne ein Wort davon zu erwähnen. Er trocknete Sümpfe aus,
bekämpfte mit mächtigen Maschinen den
steinigen Boden, bannte den Flugsand der Dünen durch
Fichtenanpflanzungen fest und schenkte so Frankreich einen
Landstrich von wunderbarer Fruchtbarkeit. Sein ganzer
eingeschläferter Tätigkeitsdrang, die volle Kraft des
unbeschäftigten Riesen erwachte angesichts dieses Unternehmens;
seine geballten Fäuste schienen die widerspenstigen Kiesel zu
zermalmen, seine Arme wandten den Boden mit einem Ruck um, mit
einem Fußtritt riß er ein Flußbett auf und trug dann fertige Häuser
auf den Schultern herbei, um sie am Ufer niederzusetzen. Nichts
leichter als alles das. Dort werde er Arbeit finden, soviel er nur
wolle. Der Kaiser war ihm ohne Zweifel noch genügend wohlgeneigt,
um ihm die Einrichtung eines Kreises zu überlassen. Plötzlich brach
er hoch aufgerichtet mit flammenden Wangen in ein stolzes Lachen
aus und rief:
    »Das ist ein Gedanke! Ich gebe der Stadt meinen Namen und gründe
auch für mein Teil ein kleines Reich!«
    Clorinde hielt dies anfangs für eine Laune, für eine Ausgeburt
der Untätigkeit, zu der er verurteilt war. Aber die folgenden Tage
sprach er von seinem Plane mit noch größerer Begeisterung. Sooft
sie kam, fand sie ihn in Landkarten vergraben, die auf dem
Schreibtische, den Stühlen, dem Teppiche ausgebreitet lagen. Eines
Nachmittags konnte sie nicht mit ihm sprechen, weil er mit zwei
Ingenieuren verhandelte. Da erfaßte sie eine wirkliche Furcht.
Wollte er sie sitzen lassen, um in der Wüste seine Stadt zu bauen?
Oder war es ein neuer Plan, den er ins Werk setzte? Sie verzichtete
vorläufig darauf, die Wahrheit zu ergründen, und hielt es für das
Klügste, bei den Freunden Lärm

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