Seine Exzellenz Eugène Rougon
zurückgekehrt
war, auf ihn zutrat und ihm mit einer
Stimme, die vor befriedigter Neugier fieberhaft bebte,
zuraunte:
»Es war schrecklich! … Haben Sie gesehen, daß ich ihr
gefolgt bin? Gerade am Ende des Ganges ist sie Marsy begegnet, und
beide traten in ein Zimmer ein. Ich habe gehört, daß er ihr
geradeheraus sagte, sie töte ihn … Sie lief davon wie eine
Tolle geradeswegs zum Zimmer des Kaisers. Meiner Treu, ich glaube
wahrhaftig, daß sie die berühmten Briefe auf das Schreibpult des
Kaisers niedergelegt hat!«
Da erschien Frau von Llorentz wieder ganz bleich, das Haar wirr
um die Schläfen flatternd und hastig atmend. Mit der verzweifelten
Ruhe eines Kranken, der eben eine Operation auf Tod und Leben an
sich vorgenommen, nahm sie ihren Platz hinter der Kaiserin wieder
ein.
»Ganz gewiß, sie hat die Briefe aus der Hand gegeben«,
wiederholte Herr von Plouguern und faßte sie scharf ins Auge.
Da Rougon ihn nicht zu verstehen schien, beugte er sich hinter
Clorinde und erzählte ihr die Geschichte. Sie hörte ihm entzückt
mit freudestrahlenden Augen zu. Erst als man die Zimmer der
Kaiserin verließ, um zu Tische zu gehen, schien sie Rougon zu
bemerken. Sie nahm seinen Arm und sagte, während Delestang hinter
ihnen ging:
»Sehen Sie? Da haben Sie's! … Wären Sie heute früh artig
gewesen, so wäre ich nicht Gefahr gelaufen, Arme und Beine zu
brechen.«
Am Abend gab es eine sogenannte kalte Jagd bei Fackelschein. Als
die Gäste den Speisesaal verließen, kehrten sie nicht unmittelbar
in die Wandkartengalerie zurück, sondern zerstreuten sich in den
Sälen der Schloßvorderseite, deren Fenster alle weit geöffnet
waren. Der Kaiser trat auf den Hauptbalkon, wo noch etwa zwanzig
Personen Platz hatten. Unten hielten zwei
Reihen Diener in großer Livree mit gepudertem Haar vom Gitter bis
zur Vorhalle einen breiten Gang frei. Jeder hielt eine lange Pike,
an deren Ende Werg in weingeistgefüllten Pfannen brannte. Die hohen
grünen Flammen züngelten durch die Luft, als ob sie da aufgehängt
seien, in der Nacht schimmernd, ohne sie zu erleuchten, so daß sie
nichts unterscheiden ließen als die doppelte Reihe Scharlachwesten
der Diener, die sie violett färbten. Zu beiden Seiten des Hofes
drängte sich eine zahlreiche Menge zusammen, Compiègner Bürger mit
ihren Frauen, fahle Gesichter, im Halbdunkel wimmelnd. Zuweilen
ließ ein Schlaglicht einen häßlichen Kopf hervortreten, das
grünlich-graue Antlitz eines kleinen Rentners. In der Mitte vor der
Freitreppe lagen die Überbleibsel des Hirsches, mit seinem Felle
bedeckt, auf dem Pflaster; der Kopf war dem Schlosse zugewandt.
Gegenüber am Gitter wartete die Meute, von Jägern umgeben. Dort
hielten Hundewärter in grünen Röcken und langen, baumwollenen
Strümpfen Fackeln, die sie schwenkten. Ein grelles, rötliches
Licht, von Rauchwolken unterbrochen, die sich nach der Stadt
zuwälzten, beleuchtete die Hunde, die mit offenen Schnauzen,
keuchend dort zusammengekoppelt waren.
Der Kaiser stand aufrecht; sein starres, undurchdringliches
Gesicht trat zuweilen im Scheine der Fackeln hervor. Clorinde hatte
seit dem Essen jede seiner Gebärden belauert, jedoch nichts
entdecken können als einen Zug verdrießlicher Müdigkeit, die
schlechte Laune eines Kranken, der schweigend duldet. Nur einmal
glaubte sie zu bemerken, daß er zu Herrn von Marsy hinüberschielte;
aber seine Augenlider blieben gesenkt. So lehnte er etwas
vorgebeugt an der Brüstung des Balkons, verdrossen seinen
Schnurrbart drehend, während hinter ihm die Gäste die Hälse
reckten, um besser zu sehen.
»Vorwärts, Firmin!« sagte er ungeduldig.
Die Jäger bliesen die »Königsfanfare«, die Hunde begannen ihr
Geläute und heulten, den Hals vorstreckend und sich auf die
Hinterbeine stellend, daß es einen furchtbaren Lärm gab. Sofort
zeigte ein Lakai der gierigen Meute den Hirsch, und zugleich senkte
Firmin, der Jägermeister, der auf der Freitreppe stand, seine
Peitsche. Die Hunde, die nur auf dies Zeichen gewartet hatten,
sprangen in drei Sätzen über den Hof, keuchend vor Gier. Als aber
Firmin von neuem die Peitsche erhob, legten sie sich dicht vor dem
Hirsche auf das Pflaster, in fieberhafter Ungeduld zitternd, die
Mäuler weit offen, vom Heulen erschöpft. Sie mußten zurückweichen
und ihren Platz am Gitter wieder einnehmen.
»Ach, die armen Tiere!« äußerte Frau von Combelot mit dem
Ausdrucke schmachtenden Bedauerns.
»Famos!« rief Herr La Rouquette.
Auch der Ritter Rusconi
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