Seine Heiligkeit: Die geheimen Briefe aus dem Schreibtisch von Papst Bendedikt XVI. (German Edition)

sowie der Anstieg der Kosten für die
Überalterung der Bevölkerung. Das Dokument zieht aus diesen Ursachen
fragwürdige Konsequenzen. Zum Beispiel die sich herausbildende größere
Ungleichheit zwischen den Völkern. In Wirklichkeit ist in der letzten Zeit dank
des Globalisierungsprozesses das Gegenteil geschehen. Und zu den neuen Armen
werden, wenn überhaupt, wir aus dem Westen. Das Dokument spricht auch von einem
Hochschrauben der Inflationsspirale, die nur durch das Risiko für die Banken
begrenzt ist. Aber heute ist genau das Gegenteil das Problem, denn wir befinden
uns in einer besorgniserregenden Deflation.«
    5   Gotti Tedeschi fährt fort: »Doch um
über die Instrumente zu streiten und auch über den ›Sinn‹, den sie haben
sollen, bedarf es einer besonderen, allgemein anerkannten Kompetenz. Und
gestern wurde in verschiedenen Kreisen (weil sie in dem Dokument nicht den
Geist von Caritas in veritate wiederfanden) irritiert
gefragt, ob dies unsere Aufgabe sei. Ich frage mich vorsichtshalber, ob es
nützlich ist, in diesem so schwierigen Moment, politisch-finanzielle Vorschläge
zu machen, auch wenn sie das Gemeinwohl zum Ziel haben.«
    6   Das Dokument wird bezeichnet als »Memorandum persönlich/vertraulich
für Mons. Georg Gänswein«. In einer Anmerkung weist der Bankier darauf hin,
dass »die Themen mit äußerster Knappheit und im Frage-und-Antwort-Modus
angesprochen« werden.
    »Erste Frage: Was hat
die aktuelle Wirtschafts- und Finanzkrise verursacht?
    Antwort: Eine Reihe von
wirtschaftspolitischen Maßnahmen zur Unterstützung des Wachstums des BIPs, die
nach und nach (in den letzten 30 Jahren) in den sogenannten westlichen Ländern
infolge des Geburtenrückgangs ergriffen wurden. Da die Bevölkerung nicht
wächst, kann es ökonomisches Wachstum nur (nach Eingriffen in die
Produktivität) durch Konsumanreiz geben. Der Konsumanstieg ist eingetreten:
    a) durch
Produktionsverlagerung (nach Asien) und durch billigere Reimporte, welche die
Kaufkraft erhöhen;
    b) durch
Verschuldung der Privathaushalte (der berühmte Konsum auf Pump). Der Prozess
zunehmender Verschuldung hat sich auf unterschiedliche Weise in den
verschiedenen Ländern ausgeweitet, mit einer Verschuldung des gesamten
Wirtschaftssystems (der Unternehmen, der Finanzinstitutionen, der Staaten).
Erst in den letzten zehn Jahren nach Ausbruch der Krise (von 1998
bis 2008)
ist die durchschnittliche Verschuldung in der westlichen Welt um ca. 50 Prozent gestiegen. Der Ausbruch der Krise (2008) hat in den
verschiedenen Ländern unterschiedliche Auswirkungen gehabt, je nach Art des
Verschuldungsmodells. In den USA war die Verschuldung vor allem durch Privathaushalte
verursacht, in Italien durch den Staat. Bei dem Versuch, das Schuldenproblem zu
lösen, ist in den USA
die Verschuldung zunehmend ›nationalisiert‹ worden (das heißt, der Staat hat
das Übermaß der Schulden auf sich genommen, indem er die Banken rettete, die
bankrott zu gehen drohten, weil die Kreditnehmer ihre Schulden nicht
bezahlten). In Europa, besonders aber in Italien, wurden umgekehrt die von den
Regierungen, Banken und Unternehmen gemachten Schulden ›privatisiert‹, indem
die Bürger sie zahlen mussten (zuerst durch Zinssätze, die gleich null waren,
und jetzt mit dem Schreckgespenst einer Privatvermögenssteuer).
    Zweite Frage: Wie hat
sich die Wirtschaftskrise in den letzten drei Jahren entwickelt?
    Antwort: Seit 2008
bis heute haben die verschuldeten westlichen Länder den Bürgern versprochen, die
Schulden zu verringern, und haben dies auch mit verschiedenen Mitteln versucht,
jedoch ohne Erfolg. Es konnte ihnen nicht gelingen, weil die Grundlagen für ein
Wirtschaftswachstum fehlten (das Bevölkerungswachstum). Die USA und die
europäischen Länder haben sich geweigert, die Schulden durch die (echte und
einzige) Lösung, nämlich Sparsamkeit, zu verringern (um die Grundlagen für
Wachstum wiederherzustellen und ein fehlgeleitetes und unhaltbares Wachstum,
das zu unbezahlten Schulden führte, abzubauen). Sie haben es auf andere Weise
versucht. Nach der Erkenntnis, dass all dies zu nichts führte, haben
diejenigen, die in der stärksten Position waren (die USA), versucht, ihre Probleme auf andere,
weniger starke Länder (in Europa) abzuwälzen. Die US-Banken haben, vermutlich um wieder
Gewinne zu machen, begonnen, auf die Staatsanleihen der am stärksten
verschuldeten europäischen Länder zu spekulieren. Das erste Land Europas, das
auch durch Spekulation