Seine Heiligkeit: Die geheimen Briefe aus dem Schreibtisch von Papst Bendedikt XVI. (German Edition)
Agostino
Cacciavillan, der wie Viganò ein ehemaliger Diplomat ist. Anfang August wendet
er sich an Erzbischof Giovanni Angelo Becciu, den Substituten im
Staatssekretariat, mit der Bitte, »beiliegende vertrauliche Notiz dem Heiligen
Vater zur wohlwollenden Kenntnisnahme« weiterzuleiten, wie es in der
Handschrift des betagten Purpurträgers auf einem Kärtchen heißt. Das Schreiben,
das auf Benedikts Schreibtisch landet, liest sich fast wie ein Appell, der ihn
zur Umkehr bewegen soll. Der Kardinal bittet darum, Viganò nicht aus dem
Vatikan fortzuschicken, sondern ihn mit der Zusicherung einer Ernennung zum
Kardinal zu befördern.
Dass gerade Cacciavillan nach Absprache mit den anderen Kardinälen
der Gruppe das Schreiben verfasst hat, hängt wohl damit zusammen, dass er die
Aufgaben und Mühen des Amtes in den USA
bestens kennt: Er hat dort selbst acht Jahre als päpstlicher Nuntius gewirkt.
Zu Recht kann er darauf verweisen, dass Viganò als Nachfolger in diesem Amt aus
persönlichen Gründen wenig geeignet sei: Er vollende am 16. Januar 2012
sein 71. Lebensjahr
und sei für die Aufgabe damit zu alt: Die Vereinigten Staaten seien ein
riesiges Land, in dem allenthalben große Probleme herrschten, die
»außergewöhnlichen Einsatz mit viel Arbeit und Reisen« verlangten, so
Cacciavillan an Ratzinger. Sein fortgeschrittenes Alter könne für ihn
»persönliche Beschwernisse« bedeuten und zudem in der Gemeinschaft der Bischöfe
Misstrauen wecken:
Die Bischöfe
der Vereinigten Staaten könnten seine Ankunft mit einem Gefühl der
Überraschung, ja Ratlosigkeit aufnehmen. Warum erhält ein Mann seines Alters
mit einem bedeutenden Amt im Vatikan nicht dort eine Beförderung? In Washington
kamen alle Nuntien aus einer vormaligen Nuntiatur. Warum jetzt ein Sekretär des
Governatorats? Dies nährt den Verdacht, dass etwas vorgefallen sei […]. Sie
würden folglich auch in der Presse aufgetauchte Gerüchte aufgreifen oder eine
»Strafversetzung« mutmaßen, wobei sich Viganò selbst als Opfer sieht, dem eine
nicht korrekte Behandlung widerfahren ist […]. Oder Gerüchte von Spannungen und
Streit zwischen ihm und den Vorgesetzten, jedenfalls unangenehme und
unwillkommene Gerüchte, die doch besser vermieden werden sollten.
Cacciavillan führt folglich ein solides Argument an, um
den Riss zu kitten. Ja, er meint sogar, die Ernennung zum Nuntius würde von der
amerikanischen Kirche als eine verdächtige »diminutio« aufgefasst, die dem
klassischen Prinzip des »promoveatur ut amoveatur« entgegenstehe. Gerade aus
diesem Grund, zur Bestätigung des alten Spruchs, hält der Kardinal »eine
befördernde Versetzung innerhalb Roms, et quidem eine
in die Präfektur für die wirtschaftlichen Angelegenheiten des Heiligen Stuhls,
wie sie dem verstorbenen Monsignore Sambi zugedacht gewesen war, für weitaus
üblicher und nachvollziehbarer«. Viganò soll mit einer Beförderung aus dem Amt
entfernt werden. Das Vorhaben wird dem Papst so präsentiert, als sei es nach
den Treffen mit Re, Sodano und den anderen Kardinälen bereits in allen Details
durchgeplant worden. Verständigt hat man sich auch mit Giuseppe Sciacca als
Viganòs Nachfolger im Governatorat, um dessen möglicher Kränkung vorzubeugen. [11]
Im Apostolischen Palast stößt der Plan allerdings keineswegs auf
Zustimmung. So ist im September Schlüsselübergabe: Viganò räumt für Sciacca,
der zugleich zum Bischof ernannt wird, sein Büro im Governatorat. Einen Monat
später erhält der Erzbischof jedoch überraschend weitere bedeutende
Unterstützung, die diesmal nicht der üblichen Logik und Geometrie der Macht
folgt. Sie kommt von einer der wenigen Frauen, denen der Papst Gehör schenkt:
von Ingrid Stampa, der treuen Haushälterin Benedikts XVI.,
die wie viele andere Mitglieder der päpstlichen »Familie« im Palast Anfang
August bittere Tage durchlebt. Sie hofft von Herzen, dass Viganò zumindest im
Vatikan bleibt, möglichst sogar in die Präfektur für die wirtschaftlichen
Angelegenheiten eintritt, wie es die Kardinäle vorschlagen. Auch wenn Viganò so
das Amt im Governatorat verlöre, bliebe ihm zumindest die Schande einer
externen Versetzung erspart, die allgemein als Strafmaßnahme aufgefasst würde –
als eine Verbannung aus dem Zwergstaat im Herzen Roms nach einem Leben, das er
hinter der Leoninischen Mauer verbracht hat. Ingrid Stampa hofft auf ein
direktes Gespräch mit dem Papst und sucht zwischen ihren Abendgebeten die am
besten geeigneten
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