Seine Heiligkeit: Die geheimen Briefe aus dem Schreibtisch von Papst Bendedikt XVI. (German Edition)
vor,
wie er sie im Vatikan zurückgelassen hat: Er muss Finanzen in Ordnung bringen
und solides Wirtschaften durchsetzen. Die Gruppe meines Informanten beobachtet,
wie es mit dem neu ernannten Diplomaten weitergeht. »Für ihn«, sagt mir »Maria«
an einem Abend, als wir bei mir zu Hause Pizza aus der Schachtel essen, »ist
diese böse Überraschung wie ein Hohn. Es ist bestimmt nicht angenehm für einen
gründlichen, korrekten, unnachgiebigen und vor allem verbitterten Mann, wenn er
wieder Finanzprobleme und Korruption bekämpfen soll, wo man ihn doch gerade
deshalb aus Rom entfernt und in eine Art ›goldenes Exil‹ geschickt hat, weil er
die Misswirtschaft im Vatikan frontal angegangen ist.« Auf dem Schreibtisch des
Diplomaten liegen kritische Problemfälle, die er sofort und ohne einen falschen
Schritt bewältigen muss. Und dabei sind seine Beziehungen zum Staatssekretariat
nach dem katastrophalen Nachspiel, das sein Kräftemessen mit Bertone gehabt
hat, ziemlich angespannt.
Viganò hat in seiner glanzvollen diplomatischen Laufbahn
viel erlebt, sich aber nie in einem Wirbelsturm behaupten müssen, wie er jetzt
über die Finanzen der katholischen Kirche in den Vereinigten Staaten
hinwegfegt: Die Prozesse um die pädophilen Priester zeitigen drastische
wirtschaftliche Folgen. Seit zehn Jahren zieht sich diese Geschichte schon hin:
Nach ersten Vorzeichen 2001 eskalierte 2002 die Lage in der
Diözese Boston, die die Opfer pädophiler Priester mit 6,2 Millionen Dollar
entschädigen muss, damit sie auf den Gang vors Gericht verzichten. 2007
gaben die Diözesen in den USA im Zuge von
Einigungen und Vergleichen bereits 900 Millionen Dollar aus. Aber das war nur der Anfang.
In den letzten Jahren stieg die Summe in schwindelnde Höhen. Inzwischen haben
wir »4500
Fälle von Pädophilie in der Kirche der Vereinigten Staaten«, schreibt der
Vatikanexperte von La Stampa Giacomo Galeazzi, [16] »mit bis heute gezahlten 2,6 Milliarden Dollar an Entschädigungen«. [17] Die Summen zerrütten die Finanzen der Diözesen. Sieben mussten wegen der
Skandale um sexuellen Missbrauch bereits Insolvenz anmelden. Die Diözese
Milwaukee wurde einer Kommission unterstellt; die seit 2008 insolvente Diözese
Fairbanks zahlte inzwischen Entschädigungen an 150 Missbrauchsopfer.
Als Erstes befasst sich Viganò mit dem von Bischof William Francis
Malooly vorgelegten Fall der Diözese Wilmington, die sich mit 230 000
Gläubigen über ganz Delaware und die Ostküste Marylands erstreckt. Angesichts
des Skandals um sexuellen Missbrauch an Minderjährigen durch Priester hatte
sich die Diözese 2009
entschlossen, Insolvenz anzumelden, um die Ansprüche aus den zahlreichen
anhängigen Verfahren bedienen zu können. Nach jahrelangen Rechtsstreitigkeiten
zeichnet sich inzwischen ab, dass gewaltige Entschädigungszahlungen in einer
Höhe von 77 Millionen Dollar geleistet werden, wie ein Sprecher des Bischofs im Februar 2012 in
der Washington Post bekannt gab. Malooly hatte
deshalb schon Monate zuvor um Unterstützung ersucht. In einem vertraulichen
Bericht, den er der Nuntiatur am 7. Oktober 2011 zusandte, bat er um ein Darlehen in Höhe von zehn
Millionen Dollar. Das Geld war überlebensnotwendig, um die Bilanzen in Ordnung
bringen und ausgehandelte Entschädigungszahlungen leisten zu können.
Bei der Analyse der finanziellen Lage stellt der Nuntius fest, dass
die notwendigen Mittel nicht vorhanden sind. Die massenhaften
Entschädigungszahlungen drohen die katholische Kirche in den USA in die Knie zu zwingen. Deswegen wendet
sich Viganò mit dem Problem am 23. November direkt an den Heiligen Stuhl. Er lässt eine
chiffrierte Botschaft vorbereiten, die an die Codes aus dem Zweiten Weltkrieg
erinnert. Sie soll sofort nach Rom geschickt werden, um deutlich zu machen,
dass die Lage außer Kontrolle zu geraten droht. Viganò bettelt um Geld.
Empfänger seines Schreibens ist Kardinal Piacenza, einer der karrierestärksten
Purpurträger, Präfekt der Kongregation für den Klerus, wie Bagnasco stammt er
aus Ligurien. Der Wortlaut ist direkt gehalten:
Bitte der
Kongregation für den Klerus mitzuteilen: Unter Nr. 14 180 erhielt dieses Dikasterium am 7. Oktober d. J. das Ersuchen S. E.
Herr Malooly, Bischof von Wilmington, um ein Darlehen in Höhe von US$ 10 000 000 (zehn Millionen US-Dollar), um
vom Insolvenzgericht auferlegte Verpflichtungen erfüllen zu können. Der Bischof
benötigt drei Wochen, um die Bedingungen des
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