Seine Heiligkeit: Die geheimen Briefe aus dem Schreibtisch von Papst Bendedikt XVI. (German Edition)
einleitet. Dieser Schritt der EU ist für den italienischen Staat eine
Zeitbombe. Falls aus Brüssel eine Verurteilung wegen Verletzung des
Wettbewerbsrechts und unrechtmäßiger staatlicher Hilfen erfolgen sollte, muss
das bisherige Privileg aufgehoben werden. Italien wird von der Kirche einfordern
müssen, was diese bisher nicht abgeführt hat, und dabei geht es um einen
erklecklichen Betrag. Das Urteil gilt rückwirkend und würde die Steuern ab 2005
betreffen, zuzüglich der inzwischen aufgelaufenen Zinsen.
Um welche Summen geht es? Bezüglich der Höhe des Betrags beginnt das
klassische italienische Zahlenballett. Die Italienische Bischofskonferenz
spricht unter Berufung auf eine Analyse von Vieri Ceriani, dem damaligen
Staatssekretär im Wirtschaftsministerium, zunächst von 100 Millionen. Laut
dem italienischen Gemeindeverband ANCI dürfte es
sich um 500
bis 600 Millionen handeln. Einige setzen den Betrag noch höher an: »Nach inoffiziellen
Schätzungen der Steuerbehörde«, schreibt die Nachrichtenagentur ANSA am 24. Februar 2012,
»handelt es sich um mögliche Einnahmen in Höhe von jährlich zwei Milliarden
Euro.«
Der italienische Staat befindet sich damit in einer Zwickmühle: Auf
der einen Seite die Verurteilung, auf der anderen das schwierige Problem, die
ausstehenden Steuern für die letzten acht Jahre einzutreiben. Eine echte
Herausforderung, denn wie soll man einer solchen Vielzahl von Steuerpflichtigen
wie Kongregationen, kirchlichen Behörden und Instituten habhaft werden, noch
dazu in einem katholischen Land mit einer Vorgeschichte, die für sich spricht?
Als die Finanzpolizei im August 1998 in Neapel während des Untersuchungsverfahrens
gegen (den später freigesprochenen) Kardinal Michele Giordano in die Kurie
eindrang, riskierte man einen diplomatischen Konflikt zwischen der damaligen
Regierung Prodi und dem Staatssekretariat. [1]
Auf der anderen Seite könnte man die Angelegenheit auch in einem
komplexeren Zusammenhang betrachten: Angesichts der weltweiten Rezession, der
Wirtschaftskrise, die auf den Familien lastet, und zusätzlichen Steuern und
Sparmaßnahmen fällt es schwer, gewisse Hilfen zu rechtfertigen und Privilegien
zu belassen. Bei der ICI geht es um die
Besteuerung eines beträchtlichen Teils des unermesslichen Vermögens der Kirche
in Italien. Der Einfachheit halber könnten wir den kirchlichen Immobilienbesitz
in drei große Gruppen untergliedern: Bildung und Kultur, Gesundheits- und
Sozialwesen, kirchliche Gebäude. Die erste Gruppe umfasst 8779 Schulen aller Art,
Kindergärten, Grund- und Oberschulen, Universitäten und Museen. Weniger
zahlreich sind die Immobilien im Gesundheitswesen mit 4712 Gesundheitszentren.
Dazu gehören 1853
Pflegeheime und Krankenhäuser sowie die Einrichtungen zum Schutz des Lebens und
der Familie, von denen es in Italien bereits 1669 gibt. Zur dritten
Gruppe schließlich, den kirchlichen Bauten, zählen beinahe 50 000 Liegenschaften,
darunter 36 000
Pfarrhäuser. [2]
Angesichts der Bedeutung der katholischen Wählerschaft in Italien –
so die inoffizielle Linie der Regierung Berlusconi – ging es darum, einen
Weg zu finden, der sowohl von Italien als auch von der Kirche Schaden abwendet.
Im Sommer 2011
schrillen die Alarmglocken. Die Europäische Union kann schon bald zu einer
Entscheidung kommen, und es muss eine Lösung gefunden werden. Das Parlament hat
nach der Sommerpause die Arbeit wiederaufgenommen, und Wirtschaftsminister
Tremonti erörtert die Lage mit seinen engsten Mitarbeitern, legt Prioritäten
und mögliche Lösungswege fest. Die Gefahr einer Verurteilung Italiens ist groß.
Die Freistellung der Kirche von der Immobiliensteuer ist für die »laizistische«
Europäische Union ein inakzeptables Privileg. Untätig auf das Urteil zu warten
würde Italien in die unangenehme Lage versetzen, von der Kirche die nicht
bezahlten Steuern einfordern zu müssen und damit ein politisches und mediales Gezerre
auszulösen, das allen schaden würde. Aus »laizistischer« Sicht wäre es die
Gelegenheit, gewaltige Beträge einzukassieren. Der Vorgang könnte einen
unerwarteten Geldstrom in die Kassen des defizitären Staates spülen. Aber diese
Sichtweise setzt sich nicht durch, im Gegenteil. Sich auf die Seite der EU zu
schlagen ist daher nicht möglich. Man muss einen anderen Weg finden. Tremonti
trifft sich in jenen Tagen mit seinem alten Freund Professor Gotti Tedeschi,
dem damaligen Präsidenten der Vatikanbank IOR.
Die beiden
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