Seine Heiligkeit: Die geheimen Briefe aus dem Schreibtisch von Papst Bendedikt XVI. (German Edition)
führen Besprechungen durch und
schicken Benedikt XVI.
Zwischenberichte. Eine der ersten Stellungnahmen stammt von Prälat Giampiero
Gloder, dem aus dem Veneto stammenden Leiter der Gruppe der Ghostwriter, die
dem Papst beim Verfassen seiner Texte zur Hand gehen. Über den Fall Orlandi und
insbesondere über die Bitte ihres Bruders diskutiert Gloder mit Pater Lombardi
und Mons. Ettore Balestrero, einem der höchsten Mitarbeiter Bertones im
Staatssekretariat. Alle drei gelangen zu demselben Schluss: Ratzinger soll das
Mädchen nicht erwähnen. Jedes Wort über den Fall Emanuela Orlandi würde die
Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit auf diese Geschichte lenken, die seit
nunmehr fast 30 Jahren ungeklärt ist. Indirekt würde Ratzinger damit zugeben, dass der Vatikan
in die Sache »involviert« ist. Undenkbar.
Balestrero ist sich mit Bertone einig. »Wir könnten Orlandi einen
Brief schreiben«, überlegen die Geistlichen. Doch zunächst müssen sie einen
Alternativvorschlag erarbeiten und dem Papst unterbreiten. Auch diese Aufgabe
übernimmt Gloder. Tags darauf bietet sich ihm ein Anlass, in den
Privatgemächern des Papstes vorstellig zu werden. Soeben hat er in den Text des
Angelusgebets, das der Papst auf dem Petersplatz sprechen wird, die
eigenhändigen Korrekturen des Heiligen Vaters eingearbeitet und muss das
Manuskript nun Georg Gänswein aushändigen. Jetzt legt er dem Redemanuskript
eine Bemerkung zum Fall Orlandi bei:
Was die
Erwähnung des Falls Orlandi betrifft, ist man nach Rücksprache mit Pater
Lombardi und Mons. Balestrero zu dem Schluss gekommen, dass es unangebracht
wäre, daran zu erinnern. Orlandis Bruder behauptet nachdrücklich, im Vatikan
herrsche auf allen Ebenen in dieser Angelegenheit das Gesetz des Schweigens und
man habe etwas zu verbergen. Schon allein die Erwähnung des Falls durch den
Papst könnte diese These stützen, ja den Eindruck vermitteln, der Papst »habe
keinen rechten Einblick«, wie die Sache bisher behandelt worden sei.
Man wird sehen,
wie die Dinge sich entwickeln, wenn man einen vom Substituten unterzeichneten
Brief an Herrn Orlandi schreibt, in dem man die Anteilnahme des Papstes zum
Ausdruck bringt, aber auch klarstellt, dass unseren Behörden keine neuen
Erkenntnisse vorliegen (hier wird man eventuell sehr gut abwägen müssen). Der
Kardinal wurde informiert und war einverstanden.
Benedikt XVI. liest das
Schreiben mehrmals. Gloder fasst sich stets knapp und präzise. Es ist Samstag,
der 17. Dezember,
der Tag vor dem Angelus. Der Papst macht sich noch einmal Gedanken über den
Text, er feilt an einem der ersten Sätze nach dem Grußwort an die Gläubigen.
Eine prophetische Formulierung: »Wenn wir das wunderbare Bild der Heiligen
Jungfrau betrachten, während sie die göttliche Botschaft empfängt und ihre
Antwort gibt, werden wir innerlich vom Licht der Wahrheit erleuchtet, das dieses
Mysterium stets aufs Neue ausstrahlt.« »Das Licht der Wahrheit«: Alle verlangen
danach, und es ist so schwer zu finden. Auf Ratzingers Schreibtisch liegt neben
anderen Papieren eine weitere Notiz des Staatssekretariats zu den für den
nächsten Tag geplanten Kundgebungen auf dem Petersplatz. Sie werden alle streng
observiert, auch Orlandi und seine Gruppe. Der zuständige Bischof schreibt:
Ich habe Dr.
Domenico Giani angewiesen, dass niemand mit Spruchbändern oder Plakaten mit
diffamierenden Äußerungen oder Protestparolen den Platz betreten darf. Der Ort
und der Zeitpunkt des Gebets dürfen nicht zu propagandistischen Zwecken
missbraucht oder instrumentalisiert werden.
Am nächsten Morgen kommt Ratzinger dem Wunsch seiner
Kardinäle nach und vermeidet jedes Wort über das verschwundene Mädchen. Die
Gruppe auf dem Petersplatz steht unter Beobachtung, die Gendarmeriebeamten in
Zivil passen auf, dass es zu keinen Zwischenfällen kommt. Das Angelusgebet geht
wie geplant über die Bühne. Ohne Zwischenfälle, ohne Kundgebung, ohne Misstöne.
Der ehemalige Geheimagent Giani ist zufrieden. Die vorbeugenden Maßnahmen der
Gendarmerie haben sich bewährt. Giani schickt dem Privatsekretär des Papstes
eine Notiz:
Lieber Don
Georg, anbei der an die Vorgesetzten übermittelte Bericht über die Teilnahme
einer Gruppe mit dem Anliegen Emanuela Orlandi am heutigen Angelusgebet (wir
hatten darüber gesprochen), samt der verteilten Flugblätter. Hochachtungsvoll,
Domenico G.
Beigefügt ist das an das Staatssekretariat überstellte
Dokument zur Überwachung der
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