Seine Heiligkeit: Die geheimen Briefe aus dem Schreibtisch von Papst Bendedikt XVI. (German Edition)
Demonstranten, die Aufklärung im Fall Orlandi
verlangen:
Heute
Vormittag haben sich etwa 60 Personen – Verwandte, Freunde und Unterstützer der
von Herrn Pietro Orlandi, dem Bruder der am 22. Juni 1983 in Italien
verschwundenen vatikanischen Staatsbürgerin Emanuela, gestarteten
Initiative – auf dem Petersplatz zu einer Kundgebung versammelt, um vom
Heiligen Vater »Wahrheit und Gerechtigkeit für Emanuela Orlandi« einzufordern.
Die Teilnehmer versammelten sich vor der Engelsburg und zogen dann auf den
Petersplatz, und nachdem sie gesittet das Angelusgebet verfolgt hatten,
skandierten sie den Namen Emanuela, als der Heilige Vater sich in seine
Gemächer zurückzog. Einige Fotografen und Kameraleute, die die Gruppe
begleiteten, wurden auf Genehmigungsverfahren für Aufnahmen am Petersplatz
aufmerksam gemacht und aufgefordert, auf der Piazza Pio XII zu warten.
In den folgenden Monaten verschärfen sich die Divergenzen
zwischen den Untersuchungsrichtern in den Fällen Emanuela Orlandi und Mirella
Gregori (die gleichfalls 1983 unter ähnlichen Umständen verschwand) und dem
Vatikan sowie der italienischen Regierung, vertreten durch die Innenministerin
Cancellieri. Streitobjekt ist das Grab von De Pedis, das niemand sich zu öffnen
traut, obwohl es auf italienischem Boden und nicht auf dem extraterritorialen
Staatsgebiet des Vatikans liegt.
Erst im April 2012 wird Pater Lombardi aktiv und erinnert an die acht
öffentlichen Aufrufe Papst Wojtyłas zur Freilassung des Mädchens; er lässt
keinen Zweifel daran, dass »vatikanische Institutionen und Personen ihr
Möglichstes getan« hätten. Und was ist mit der unwürdigen Bestattung von De
Pedis in der Kirche? »Einer Untersuchung des Grabes und einer Beisetzung der
Leiche an einem anderen Ort steht nichts entgegen.« Am 14. Mai 2012
endlich wurde das Grab von der Staatsanwaltschaft geöffnet – ohne besondere
Erkenntnisse. Die sterblichen Überreste von De Pedis wurden in ein anderes Grab
umgebettet.
Kugeln Kaliber 22
Soweit wir dies aus den uns vorliegenden Papieren rekonstruieren
konnten, mussten die Gendarmen eines Nachts, am 9. Dezember 2009,
die römischen Carabinieri zu Hilfe holen, als sie selbst Opfer eines Vorfalls
wurden, der in der Geschichte des Vatikans ohnegleichen ist. Nach einem
Abendessen mit Kollegen einer Interpol-Delegation in einem Restaurant der
Hauptstadt fanden die Gendarmen den auf dem Parkplatz zurückgelassenen
Dienstwagen von Kugeln durchsiebt vor. Der Wagen trug keine Aufschrift, nur das
Autokennzeichen »SCV« für Stato Città del Vaticano. Eine
heikle Situation, die Diskretion verlangt, wie aus dem Dienstbericht
hervorgeht:
Gestern gegen
22.45 Uhr bemerkten Angehörige dieses Gendarmeriekorps beim Verlassen des
Restaurants »Da Arturo« in der Via Aurelia Antica 411 – nach einem Abendessen
mit einigen Beamten von Interpol, die dem Vatikan einen offiziellen Besuch
abgestattet hatten –, dass der Pkw Volkswagen Passat mit dem Kennzeichen SCV 00953,
den sie in diesen Tagen für die verschiedenen Fahrten benutzt hatten, von
mehreren Schüssen beschädigt worden war. Die Heckscheibe des Wagens war
vollständig zerschlagen, und die hintere rechte Säule wies drei kleine Dellen
von ebenso vielen Einschüssen auf. Am Boden neben dem Fahrzeug fanden sich die
vier Patronenhülsen (Kaliber 22), doch von den Kugeln keine Spur. [4]
Die Gendarmen rufen im Vatikan an und setzen sich mit
Fernando Filoni in Verbindung, dem später zum Kardinal ernannten damaligen
Substituten des Staatssekretariats, praktisch dem Innenminister des Heiligen
Stuhls. Der zuverlässige Mitarbeiter Bertones hält mehrere Szenarien für
möglich: Es könnte die Tat eines Spinners sein oder ein gezielter
Einschüchterungsversuch. Daher beschließt er zweierlei: Zum einen schickt er
unverzüglich weitere Polizisten der Gendarmerie vor das Restaurant, um die
Situation unter Kontrolle zu halten und – so weit wie möglich – Klarheit über
das Vorgefallene zu gewinnen. Zum anderen verständigt er sofort die
Einsatzzentrale der Carabinieri, damit Ermittlungen aufgenommen werden, die
zeitnah verfolgt werden sollen:
Das Fahrzeug
war gegenüber dem Restaurant abgestellt, unmittelbar vor dem Eisengitter der
Umzäunung des Mediaset-Geländes – eine von den Gästen des Lokals gewöhnlich als
Parkplatz benutzte Fläche; Passanten wurden dadurch jedoch nicht behindert.
Wenige Meter vor dem Fahrzeug war ein weiterer Wagen der Gendarmerie
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