Seine Heiligkeit: Die geheimen Briefe aus dem Schreibtisch von Papst Bendedikt XVI. (German Edition)
zum
Vatikan und eine sehr direkte zu Bertone. Der Moment ist sicherlich nicht
gerade günstig, das Problem Porta Pia reißt immer wieder Wunden auf, die man
lieber geheilt sehen würde, und droht neuen Streit zu entfachen: Italien feiert
den 150. Jahrestag
seiner Einigung, und es könnte jemand Anstoß nehmen.
Die Idee findet jedoch bei den Geistlichen im Vatikan Gefallen, und
zwar nicht nur bei denen, die in der Fahne ein Symbol der Kirche sehen; auch
hochrangige Kardinäle, allen voran Bertone, sind davon angetan. Die
Angelegenheit zieht immer weitere Kreise und erlangt, zumindest dem
Briefwechsel zufolge, der bis in die päpstlichen Gemächer gelangt und in den
wir Einblick nehmen konnten, allergrößte Bedeutung. Diejenigen, die die
ersehnte Fahne gern zurückhaben wollen, werfen ihre Argumente in die
Waagschale: Mit der Annahme des Geschenks würde die Fahne, die bis zum 20. September
1870
auf den Aurelianischen Mauern gehisst war, als Bersaglieri und savoyische
Infanteristen eine Bresche in die Festungsmauern schossen und damit das Ende
des Kirchenstaates besiegelten, nach Hause zurückkehren, wenngleich erst nach 141 Jahren. [7]
Seither ist zwar viel Zeit vergangen, aber es scheint nach wie vor
ein sensibles Thema. Am 28. Januar schreibt Giani direkt an Bertone, um ihn über
die mögliche Schenkung in Kenntnis zu setzen:
Eminenz,
der erlauchte
Fürst Sforza Ruspoli, Erbe eines der Heiligen Römischen Kirche aus Glauben und
Tradition stets treu ergebenen Adelsgeschlechts, ist bekanntlich im Besitz der
Festungsflagge des Kirchenstaates, die den päpstlichen Truppen zugeeignet wurde,
welche 1870 heldenhaft an der Porta Pia kämpften, und die er seit geraumer Zeit
dem Heiligen Vater zu schenken beabsichtigt. Ich bin dem Fürsten am 8. Dezember zufällig im
Nordamerika-Kolleg begegnet, und bei dieser Gelegenheit äußerte er mir gegenüber
seinen Wunsch, verbunden mit der Hoffnung, dass vor der Übergabe des Geschenks,
das er dem Heiligen Vater untertänigst persönlich überreichen möchte, ein
schlichtes »militärisches« Zeremoniell stattfinde, um der Fahne die Ehre zu
erweisen wie in den alten, immer noch lebendigen militärischen Traditionen. [8]
Die Aktion müsse – nebenbei – bald stattfinden, denn
Sforza Ruspoli, Jahrgang 1929, »spürt eine gewisse Dringlichkeit angesichts
seines ehrwürdigen Alters«. Und es sei nicht gesagt, dass die Erben, »im Falle
seines plötzlichen Ablebens seinen Willen achten würden«, wie Giani Bertone
weiter mitteilt und damit die Sache zu seiner eigenen macht. Kurz und gut, der
Aristokrat scheint dem Papst nicht nur ein Geschenk samt zugehörigem
Zeremoniell aufdrängen zu wollen, es soll auch noch schnell gehen – mit dem
Risiko, das seit jeher prekäre Gleichgewicht in der Beziehung zu Italien zu
gefährden. Im Vatikan scheint man diesem Druck nachzugeben. Die Idee stößt bei
Kardinal Bertone zunächst auf Wohlwollen, er zeigt sich interessiert und
vermerkt auf Gianis Schreiben seine Einwilligung mit dem Zusatz, er erwarte
»den detaillierten Plan und Terminvorschläge«. Auch der Substitut Erzbischof
Filoni steigt in die Vorbereitungen ein – er kann sich als geeignetes Datum das
Fest des Erzengels Michael vorstellen und legt im Staatssekretariat eine Akte
an.
Diese Lesart des Jubiläums stößt in der Terza Loggia nicht auf
ungeteilte Zustimmung. Der päpstliche Zeremonienmeister, der Argentinier
Guillermo Karcher, rät ausdrücklich davon ab, »um möglichen Missverständnissen
in einem für Italien besonderen Jahr (150 Jahre seit der blutigen
Eröffnung der ›Römischen Frage‹, die man besser nicht allzu militärisch
beschwören sollte) aus dem Weg zu gehen«.
Am 22. Februar
gelangt die Akte auf den Schreibtisch Benedikts XVI.
Er ist konsterniert. Er fürchtet einen Fauxpas: »Er verlangt, einen heiklen
Aspekt näher zu beleuchten, nämlich ob es von italienischer Seite – das sind
seine Worte – nicht kontrovers aufgenommen wird, wenn ein historisches Emblem
in den Vatikan ›exportiert‹ wird.« Die Zweifel des Papstes sind begründet.
Auch Balestrero, Unterstaatssekretär für die Beziehungen mit den
Staaten, eine Art stellvertretender Außenminister, wird deutlich: »Ich würde
das besondere Zeremoniell vermeiden«, schreibt er eigenhändig, »zumal es sich
um eine reine Übergabe handelt, und außerdem […] würde ich die Sache nicht
allzu groß herauskehren. […] Ich persönlich habe auch meine Zweifel wegen des
Timings.
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