Seine Heiligkeit: Die geheimen Briefe aus dem Schreibtisch von Papst Bendedikt XVI. (German Edition)
Tedeschi kommt an die Spitze der Vatikanbank IOR.
Der ehemalige vatikanische Nuntius in Italien, Giuseppe Bertello, übernimmt das
Governatorat, Kardinal Giuseppe Versaldi die Präfektur für die wirtschaftlichen
Angelegenheiten des Heiligen Stuhls. Es ist der Königsweg zur Konsolidierung
seiner Macht und zum Ausbau seines Einflusses in der römischen Kurie bis hin zu
den großen Namen des Konklaves, das eines Tages einberufen werden wird, um den
Nachfolger Benedikts XVI. zu wählen.
Die Machtspiele vollziehen sich in einem Klima wachsender
Spannungen. Es grassiert die Angst, die eigenen Vorgesetzten zu kritisieren und
Dissens zu äußern, denn man kann leicht Repressalien zum Opfer fallen oder
versetzt werden. In dem kleinen Staat wird mit allen Mitteln gekämpft.
Eifersucht, Missgunst, Karrierismus und Eigennutz blühen vor allem da, wo das
Geld in allen seinen Erscheinungsformen, die Macht oder beides zusammen Anlass
für Grabenkämpfe gibt. Die Moral hat hier keinen Platz. Kardinäle, Seilschaften
und Gruppen bekämpfen einander mit harten Bandagen. Und immer aktueller scheint
die Mahnung zu werden, die Joseph Ratzinger schon 1968 ausgesprochen hatte:
»Für viele ist die Kirche heute zum Haupthindernis des Glaubens geworden. Sie
vermögen nur noch das menschliche Machtstreben, das kleinliche Theater derer in
ihr zu sehen, die mit ihrer Behauptung, das amtliche Christentum zu verwalten,
dem wahren Geist des Christentums am meisten im Wege zu stehen scheinen.« [4]
Intrigen und Machtgerangel gehören zur Geschichte der Kirche, es hat
sie immer gegeben, aber nie wurde der Kampf mit so skrupellosen Mitteln
ausgetragen wie heute, nie in einem Ton, der über ein bestimmtes Maß
hinausging. Und noch nie wurde der Heilige Vater darin verwickelt, nie hat man
ihn so ungehindert »am Talar gezogen«. In diesem Klima gedeiht ein ganz neues
Phänomen. Heute versuchen viele, an Bertone vorbei zu agieren, der doch als
Staatssekretär der Bezugspunkt für alle Mitarbeiter im Vatikan sein müsste.
Aber er gilt als das eigentliche Problem oder zumindest als Teil des Problems.
Sich an den Papst zu wenden ist immer ein extremer und äußerst
riskanter Schritt mit unabsehbaren Folgen. Dennoch wird heute der Papst zum
Adressaten aller möglichen Schreiben und Hilfeersuchen. Bei der gewagten
Entscheidung, sich direkt an Ratzinger zu wenden, spielen jedoch auch andere
Faktoren eine Rolle. »Als Karol Wojtyła Papst wurde, kannte ihn niemand«,
schreibt Giacomo Galeazzi, Vatikanexperte der Tageszeitung La
Stampa . »Ratzinger lebt seit 1981 im Vatikan und ist mit Prälaten, Bischöfen und
Kardinälen bekannt. Die Kardinäle finden es ganz natürlich, sich direkt an ihn
zu wenden.« Aber wie gewinnt man seine Aufmerksamkeit? Auch angesehene
Kirchenmänner ersinnen 1000 Strategien und Mittel aller Art, um Zugang zu
Benedikt XVI. zu erhalten. Sie operieren
heimlich, hinterbringen ihm Streitigkeiten, Boykotts, für unzulässig erachtete
Interessen. Sie verlangen, dass sich der Heilige Vater einschaltet, bevor eine
Sache aus dem Ruder läuft und der Skandal öffentlich wird. Er wird von allen
als der revolutionäre geistliche Führer betrachtet, dem allein die Zukunft der
Kirche am Herzen liegt. Aber begeben wir uns nun ins Zentrum dieser internen
Geschehnisse, deren Schlüsselfiguren der Papst und sein Kardinalstaatssekretär
Bertone sind. Tatsächlich können wir über diese Auseinandersetzungen erstmals
so berichten, wie sie vom »inner circle« erlebt werden.
Eine Enzyklika muss verfasst werden, doch Bertone hat andere Dinge
im Kopf
Ende 2008. Im Staatssekretariat konzentriert sich alle
Aufmerksamkeit auf die dritte Enzyklika des Papstes, die den Titel Caritas in veritate tragen soll. Für die Erste Sektion, die
Schaltzentrale für die Allgemeinen Angelegenheiten, sind es hektische Monate.
Sachbearbeiter, Minutanten, Sekretäre und Priester arbeiten mit Hochdruck und
tragen alles zusammen, was für die Abfassung des neuen Dokuments notwendig ist.
Die Enzyklika bekräftigt den Primat des Menschen in der Wirtschaft – ein
Anliegen, das offenbar nicht von allen geteilt wird. Viele haben das Gefühl,
Bertone schenke der Ausarbeitung eines für das Wirken Benedikts XVI. so bedeutenden Dokuments nicht die
gebührende Aufmerksamkeit. Der Unmut wächst, bis er sich Ende Februar des
folgenden Jahres seinen Weg in die päpstlichen Privatgemächer bahnt.
Protagonist ist Paolo Sardi, ein Kardinal mit einer bemerkenswerten
Karriere. Bis
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