Seine Heiligkeit: Die geheimen Briefe aus dem Schreibtisch von Papst Bendedikt XVI. (German Edition)
Zusammenhang mit Immobilien von Propaganda Fide und die
Laster einiger Geistlicher, die damit erpresst wurden – unzählige Skandale, die
verschärft wurden durch Komplotte in den heiligen Hallen, wie sie der ehemalige
Chefredakteur der Zeitung Avvenire, Dino Boffo, und
Bischof Carlo Maria Viganò angeprangert hatten. Im Zuge dieser Grabenkämpfe
stieg im Jahr 2011
die Zahl der anonymen Briefe, die in den Sacri Palazzi seit jeher zirkulieren:
Briefe mit Morddrohungen gegen Kardinal Bertone, [2] Schmutzkampagnen
gegen Bischöfe und Kardinäle, etwa gegen Kardinal Agostino Vallini, den
Generalvikar der Diözese Rom und Opfer einer gefälschten Petition von
Priestern, die seine Absetzung forderten. Die Unterschriftensammlung war
fingiert. Im September 2011 wurde eine (bisher noch nicht abgeschlossene)
Untersuchung eingeleitet, um aufzuklären, wer sich hinter den anonymen
Machenschaften gegen Vallini verbirgt.
Es sind schwierige Zeiten, die starke Nerven erfordern und gute
Führungsqualitäten – Eigenschaften, die Tarcisio Bertone nicht von allen zugesprochen
werden. Bertone wurde im Sommer 2006 als Nachfolger Angelo Sodanos zum
Kardinalstaatssekretär ernannt. Anders als seine Vorgänger kommt Bertone nicht
aus der hohen Schule der Diplomatie. Diesen Traditionsbruch dürfte Ratzinger
wohlerwogen haben, musste er doch damit rechnen, dass er Misstrauen und
Widerstand provozieren würde. Der Papst entschied sich für Bertone, weil er ihm
vertraut. Zwischen 1995
und 2002
war Bertone Sekretär der Glaubenskongregation, deren Präfekt Ratzinger war. Er
ist darüber hinaus eine wichtige Bezugsperson des Heiligen Vaters für den
Kontakt zu Kreisen, denen er selbst fernsteht: zur Politik, insbesondere zur
italienischen Politik. Die Schwachstellen können auch zu Stärken werden, und in
der Tat hat Bertone von Beginn seiner Amtszeit an die Pflege der Beziehungen
zur Politik an sich gezogen, was den Handlungsspielraum der Italienischen
Bischofskonferenz unter Leitung von Kardinal Bagnasco zunehmend einschränkt und
zugleich für Unmut in der Kurie sorgt.
Bertone stößt von Anfang an auf alle möglichen Schwierigkeiten, auch
logistischer Art. So hält beispielsweise Sodano das Büro des Staatssekretärs
noch ein ganzes Jahr lang besetzt. Er ist keinen Argumenten zugänglich und
weicht erst, als sein neues Büro in seiner Funktion als Kardinaldekan
bezugsfertig ist; sein Nachfolger Bertone muss sich in der Zwischenzeit mit
einem Nebenraum begnügen. Eine Lappalie, verglichen mit den dunklen Wolken, die
sich über dem Staatssekretariat zusammenbrauen. Kaum ist er im Amt, tauchen in
Gestalt diplomatischer Krisen schon die Vorboten eines drohenden Unwetters auf.
Am 12. September
2006
hält Benedikt seine Regensburger Rede, einen wissenschaftlichen Vortrag,
gespickt mit literarischen und historischen Bezügen und vielfältigen Verweisen
auf Glauben, Vernunft und Wissen. Es ist einer der ersten öffentlichen
Auftritte auch für den neuen Staatssekretär Bertone. Eines der historischen
Zitate wird jedoch zum Stein des Anstoßes – der Satz des byzantinischen Kaisers
Manuel II. Palaiologos: »Zeig mir doch, was
Mohammed Neues gebracht hat, und da wirst du nur Schlechtes und Inhumanes
finden.« Diese Worte lösen ein Erdbeben aus, es kommt zu einer Kettenreaktion
in den internationalen Medien. Die islamischen Länder machen mobil. War
Benedikt XVI. von niemandem gewarnt worden? Wurde
der Text von niemandem durchgesehen? Das lässt sich nicht mit Bestimmtheit
sagen. Sicher ist, dass der Vorfall im Vatikan Unmut und Misshelligkeiten
provoziert. Der Heilige Vater ist um Schadensbegrenzung bemüht und betont
mehrfach, es habe sich lediglich um ein Zitat gehandelt, das keinesfalls seine
eigene Ansicht widerspiegle. Ein falscher Schritt, wahrscheinlich von jemandem
in die Wege geleitet, der den heiklen Passus nicht als solchen erkannt hatte.
Doch es bleibt nicht der einzige Fehler.
Ähnliche Vorfälle wiederholen sich in den folgenden Jahren. Trotzdem
kann Bertone seine Macht weiter ausbauen. Dabei verfolgt er ein zweifaches
Ziel: Kritiker zum Schweigen zu bringen und wichtige Positionen mit
Kirchenmännern seines Vertrauens zu besetzen. Sein besonderes Augenmerk gilt
dabei den wirtschaftlichen Dikasterien, die die Kostenstellen kontrollieren:
Kardinal Domenico Calcagno wird in die APSA
berufen, die Güterverwaltung des Apostolischen Stuhls, die den gigantischen
Immobilienbesitz des Vatikans unter ihrer Kontrolle hat. [3] Ettore
Gotti
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