Seine Heiligkeit: Die geheimen Briefe aus dem Schreibtisch von Papst Bendedikt XVI. (German Edition)
Vergangenheit zu befreien. In mancher Hinsicht erinnert der
Stil seines Briefes an Erzbischof Viganò. Das Schreiben landet am 31. März
auf dem Schreibtisch des Papstes. Benedikt XVI.
agiert auf zwei Ebenen: Er teilt seinem Privatsekretär Gänswein mit, dass die
Angelegenheit »mit Kard. Bertone zu erörtern« sei, wie er in einer lapidaren
Notiz festhält, die er seinen Mitarbeitern übergibt. Binnen weniger Stunden
kommen der Staatssekretär und der Papst zu einem Gespräch zusammen. Beide
kennen das Regelwerk, das die Autonomie des Toniolo gewährleistet, nicht im
Detail und beschließen daher, genauere Auskünfte einzuholen. Am 2. April
schreibt Bertone an Kardinal Sardi, den Propatron des Malteserordens (der, wie
wir bereits wissen, Bertones Art und Weise der Mitarbeit an der Enzyklika kritisiert
hatte), und legt auch den Brief an den Papst bei. Die Mission ist top secret : Bertone bittet um Aufklärung über Tettamanzis
Darlegungen, um auszuloten, welchen Spielraum das Staatssekretariat im Fall
Toniolo hat. Er will also die Situation überprüfen. Und er erwartet klare
Antworten in kürzester Zeit. Sardi erfüllt den Auftrag, und er geht geschickt
vor: »Um die Vertraulichkeit der Operation zu gewährleisten«, schreibt er am 3. April
in einem streng geheimen Bericht an den Papst, »habe ich einige Experten zu mir
nach Hause in den Vatikan eingeladen, damit der zu prüfende Brief nicht die
Grenzen passiert.«
Heiliger
Vater, beiliegend das, worum mich Seine Eminenz der Staatssekretär gebeten hat […]. Ich habe eine genaue Prüfung des Briefes veranlasst. […] Ich werde dafür
Sorge tragen, Eurer Heiligkeit das Ergebnis einer genauen Bewertung zukommen zu
lassen, die ich mithilfe von Kennern des Toniolo, seiner Geschichte und seiner
Statuten erarbeitet habe. […] Wie Eure Heiligkeit sehen können, ist die Prüfung
eingehend und minutiös, was angesichts der Massivität der von Tettamanzi
erhobenen Vorwürfe notwendig erschien. Tettamanzi scheut sich nicht, auch harte
Urteile zu fällen, ohne irgendeinen Beleg anzuführen. […] In diesem meinem
Schreiben jedoch kann ich Ihnen, Heiliger Vater, mein Befremden darüber nicht
verhehlen, wie ein Kardinal es sich erlauben kann, sich mit solcher
Unbekümmertheit einem klaren Wunsch des Papstes zu widersetzen und dabei sogar
den Verdacht zu äußern, der Staatssekretär habe den Willen des Papstes
entstellt oder verfälscht. Mindestens zweimal erhebt er diesen Vorwurf: im
letzten Absatz der ersten und im zweiten Absatz der letzten Seite.
Sardi glaubt nicht, dass der Brief von Tettamanzi allein
konzipiert und verfasst wurde. Er äußert eine Vermutung, die, falls sie sich
als richtig erweisen sollte, skandalös wäre. Er behauptet nämlich, hinter dem
Brief stecke ein im Vatikan hoch geschätzter Laie: der Rektor der Katholischen
Universität und jetzige Kulturminister Lorenzo Ornaghi:
Ein weiterer
Grund zur Verwunderung ergibt sich aus der Tatsache, dass in dem Brief
verschiedene Möglichkeiten des Verhaltens gegenüber dem im Namen des Heiligen
Vaters geschriebenen Brief des Staatssekretärs erörtert werden. Jedoch an
keiner, an absolut keiner Stelle wird ein Schritt erwogen, der doch an erster
Stelle hätte stehen müssen: der Gehorsam. Der Inhalt von Kard. Tettamanzis
Brief lässt die Mitwirkung einer anderen Person vermuten (beispielsweise des
Rector Magnificus, Prof. Lorenzo Ornaghi). Ein Satz jedoch stammt mit
Sicherheit von Kard. Tettamanzi, weil er eigenhändig geschrieben ist, und das
ist der Gruß: »Mit Hochachtung und großer Zuneigung im Herrn, Ihr † Dionigi
Tettamanzi.« Und doch scheint mir, dass sich in diesen so vertraulichen Worten
etwas bestätigt, was unterschwellig den ganzen Brief charakterisiert: Der
Erzbischof von Mailand verhandelt mit dem Papst von Gleich zu Gleich. Und auch
das ist unerhört. Ich wage zu hoffen, dass sich die Antwort auf eine lakonische
Aufforderung zum Gehorsam beschränkt. Ich versichere Eurer Heiligkeit meine
tiefe Ehrerbietung und kindliche Liebe und bin ergebenst Kard. Paolo Sardi.
Das Problem jedoch ist, dass Tettamanzi seines Amtes gar
nicht enthoben werden kann, nicht einmal, nachdem er die Diözese verlassen hat.
Das Toniolo hat eine in der katholischen Welt nahezu einmalige Rechtsform: Es
ist eine Körperschaft des privaten Rechts und steht damit außerhalb des
Kirchenrechts. Also tut Tettamanzi so, als sei nichts geschehen. Er übt weiter
sein Amt an der Spitze des Instituts aus,
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