Seine Heiligkeit: Die geheimen Briefe aus dem Schreibtisch von Papst Bendedikt XVI. (German Edition)
Monaten macht in den geheimen Kammern hinter
vorgehaltener Hand der Vorwurf die Runde, Bertone bediene sich ungewöhnlicher
Methoden, er suche die Öffentlichkeit und sein Management sei zu sehr auf seine
Person bezogen: »Bertone wird vorgeworfen«, schreibt Galeazzi, »er führe das
Staatssekretariat zentralistisch und versuche sogar, den italienischen
Episkopat in den Hintergrund zu drängen; wie im Fall der berühmten Mahnung an
Bagnasco zur Frage, wer die Aufgabe der Beziehungspflege zur Politik hat. Nach
Casarolis Verständnis hat der Staatssekretär eine ganz andere Rolle zu
erfüllen: Er soll eine Sonnenuhr sein. Die Sonnenuhr funktioniert nur, wenn sie
als Schatten des Heiligen Vaters dient, ohne selbst Macht auszustrahlen.«
»Bertone muss weg«
Viele fangen an, dem Staatssekretär einen Großteil aller
Fehler und Versäumnisse anzulasten, die im Vatikan gemacht werden. Auch wenn
sie von anderen begangen werden, macht man Bertone dafür verantwortlich: für
das miserable Management im Fall des Lefebvre-Bischofs und Holocaust-Leugners
Richard Williamson, dessen Exkommunikation widerrufen wurde, oder im Fall des
ultrakonservativen österreichischen Priesters Gerhard Wagner, der in den
Harry-Potter-Bänden Satanismus am Werk sieht und bizarre Vorstellungen über den
Hurrikan Katrina als göttliche Strafe für die Unmoral der Bewohner der Stadt
New Orleans hegt. Wagner wurde zunächst zum Weihbischof von Linz ernannt,
musste aber dann nach Protesten der österreichischen Katholiken darauf
verzichten, sein Amt anzutreten.
Im April 2009
scheint das Maß voll zu sein, als einige wichtige Kardinäle in der päpstlichen
Sommerresidenz Castel Gandolfo an Benedikt XVI.
herantreten und um die Ablösung des Staatssekretärs bitten. Am 2. Dezember
2009
wird Bertone 75 Jahre alt. Das scheint eine passende Gelegenheit, um ihn aus Altersgründen
unauffällig in den Ruhestand zu versetzen. An der Begegnung in Castel Gandolfo
nehmen vier einflussreiche Kardinäle teil: Angelo Bagnasco, Camillo Ruini,
Angelo Scola und der Österreicher Christoph Schönborn. Doch der Papst lässt sie
kaum zu Wort kommen. Er will sich keine Bedingungen diktieren lassen, sondern
stellt mit einer eisigen Antwort auf Deutsch von vornherein klar: »Der Mann
bleibt, wo er ist, und basta.«
Bertone bleibt wirklich weiter im Sattel, wenn auch bisweilen nicht
sehr fest. Am 2. Dezember
feiert der Kardinal seinen Geburtstag und nimmt auch die Glückwünsche des
Papstes entgegen. Benedikt XVI. bekräftigt sein
Vertrauen in ihn, als er kurz danach den Rücktritt aus Altersgründen
zurückweist, den der Kardinal ihm anbietet – in einem Brief, in dem er selbst
einige Unzulänglichkeiten eingesteht. [7] Im Übrigen würde ein so
bedeutsamer Wechsel an der Spitze zu Turbulenzen und Verwerfungen innerhalb der
Kirche führen, die man sich in einer Situation der globalen Wirtschaftskrise
gar nicht vorstellen mag und die den Heiligen Vater schwächen würden. Aber die
Angriffe und die kritischen Stimmen gegen den Staatssekretär verstummen nicht.
Der Krieg um den finanziellen Träger der Katholischen Universität
2011 ist das Jahr des Kriegs zwischen dem
Staatssekretariat auf der einen und der Italienischen Bischofskonferenz und der
Mailänder Kurie auf der anderen Seite. Der Streit entzündet sich in den stillen
vatikanischen Gemächern an zwei neuralgischen Punkten: der finanziellen Führung
der Katholischen Universität Mailand und dem ehrgeizigen Plan, ein neues
Gesundheitszentrum zu schaffen, bei dem die San-Raffaele-Klinik in Mailand mit
der Gemelli-Poliklinik und dem Kinderkrankenhaus Bambino Gesù, beide in Rom,
zusammengeschlossen werden soll. Im Fokus der Aufmerksamkeit steht eine
Institution, die sowohl die Katholische Universität Mailand als auch die
Gemelli-Klinik der Hauptstadt Rom am Leben erhält: das Istituto Toniolo in
Mailand. [8] Seit 2002, als der derzeitige Minister Lorenzo Ornaghi zum
Rektor der Katholischen Universität ernannt wurde, liegt das Toniolo in den
Händen einer Mehrheit, die der italienischen Kirche näher steht als der
römischen Kurie – gestern mit Ruini, heute mit Bagnasco an der Spitze der
Italienischen Bischofskonferenz. Präsident des Toniolo ist Kardinal Dionigi
Tettamanzi, der im Jahr 2011 die Führung der Diözese Mailand an Kardinal Scola
abtritt. Der Schlüssel für den Zugriff auf die Finanzen der Katholischen
Universität wird damit in andere Hände übergehen. Bertone interveniert. Im
Februar
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