Seine Heiligkeit: Die geheimen Briefe aus dem Schreibtisch von Papst Bendedikt XVI. (German Edition)
Verbündeten des neuen
Erzbischofs von Mailand. Das Projekt der San-Raffaele-Klinik muss aufs
Abstellgleis abgeschoben werden. Die Befürworter sind bald in der Minderheit,
auch wenn sie von dem Bankensektor gedrängt werden, der im Vatikan einen
zahlungskräftigen Akteur sieht. Benedikt XVI.
erhält auch die ungeschönten Bilanzen der anderen Krankenhäuser (Gemelli und
Bambino Gesù), und er weiß sehr wohl, dass die Schaffung eines Klinikpools ein
faszinierender, aber absolut unrealisierbarer Traum bleiben wird. Vorerst
zumindest. Im Januar üben das IOR und sein
Gesellschafter Malacalza keine Option aus, und die San-Raffaele-Klinik geht für
405 Millionen an den Gesundheitskonzern Giuseppe Rotellis.
»Padre Georg, Sie sind der Einzige, der erfahren wird, wer ich bin«
Das Postfach und das Fax von Padre Georg produzieren immer
neue Probleme für den Papst. Gänswein muss es gewohnt sein, in 1000
unterschiedlichen Situationen jeweils ein Gleichgewicht der Kräfte zu suchen
und – unter großen Mühen – zu finden, wobei er beständig mit dem Papst
Rücksprache hält. Doch im Frühjahr 2011, als der Fall Viganò und die Ereignisse um das
Istituto Toniolo und die San-Raffaele-Klinik den Frieden der Sacri Palazzi auf
eine harte Probe stellen, geschieht etwas noch nie Dagewesenes. Anfang März
beschließt ein wichtiger Geistlicher – höchstwahrscheinlich ein Würdenträger
aus der Präfektur für die wirtschaftlichen Angelegenheiten des Heiligen Stuhls,
dem Rechnungshof des Vatikans –, den Papst über eine Reihe äußerst kritischer
Situationen in der Kurie in Kenntnis zu setzen. Der Name des Geistlichen ist
nicht bekannt, aber es handelt sich auf jeden Fall um eine wichtige
Persönlichkeit.
Der Mann agiert mit größter Vorsicht. Er befürchtet, identifiziert
zu werden, und bedient sich daher einer Verschleierungstaktik, um dem Papst
seine gnadenlose Analyse der römischen Kirche vorzutragen. Welcher
Verschleierungstaktik? Er beauftragt einen Priester, einen mit präzisen
Beanstandungen der Handlungsweise des Staatssekretariats gespickten Bericht
direkt in die Privaträume des Papstes zu bringen und damit in sichere Hände zu
legen. Dem Dokument beigefügt ist ein einleitender Brief, der das im Vatikan
herrschende Klima spiegelt:
Hochwürdiger
Herr,
mit dem
beiliegenden Brief möchte ich dem Wirken des Papstes als Hirte der
Universalkirche dienlich sein. Ich habe gebetet. Ich habe nachgedacht. Ich habe
mich gefragt, ob es einen Akt des Ungehorsams gegenüber meinen Vorgesetzten
darstellt und eine Verletzung des Amtsgeheimnisses. Und ich bin zu dem Schluss
gekommen, dass es vielfältige und sehr gravierende Probleme gibt, die
verheerende, heute noch gar nicht absehbare Auswirkungen auf die Zukunft haben
können, weshalb man den Eindruck haben könnte, es sei alles bestens. Die
unmittelbaren Vorgesetzten, die mehrfach zu Rate gezogen wurden, halten es
derzeit nicht für opportun zu intervenieren und sagen, unser Ansprechpartner
sei das Staatssekretariat, wo doch genau dieses Staatssekretariat in vielen
Fällen das Problem ist. Mein Gewissen gebietet es mir, diese Dinge dem Heiligen
Vater zur Kenntnis zu bringen, auch deshalb, weil es keine Verletzung des
päpstlichen Schweigegebots bedeutet, sich an ihn zu wenden. Niemand hat diese
Briefe gelesen. Der Einzige, der über sie Bescheid weiß, ist der Priester, der
sie Ihnen übergeben hat und der Ihnen sagen wird, wer sie verfasst hat. Falls
nötig, kann ich sie auch mit meiner Unterschrift bestätigen und sogar
persönlich jemandem Bericht erstatten, den man mir nennt. Wir beten für Sie und
für den Heiligen Vater.
Die Vorsichtsmaßnahme, den Namen des Briefschreibers dem
Priester zu nennen, der die Schriftstücke überbringt, ohne das Dokument selbst
zu unterzeichnen, ist klug und durchaus nachvollziehbar. Die Anschuldigungen,
schwarz auf weiß, können jede Karriere zunichtemachen:
Oft wurde die
Pflicht, Angelegenheiten von größerer Bedeutung der Präfektur zu unterbreiten,
lächerlich gemacht oder als reine Formalität abgetan. In vielen Behörden – vor
allem denen, deren Prüfung und Kontrolle das Staatssekretariat für sich in
Anspruch nimmt – werden sogar die Buchprüfer vom Staatssekretariat ernannt.
Dadurch ergibt sich die paradoxe Situation, dass das Staatssekretariat
gleichzeitig die Prüfung und die Kontrolle ausübt, die Bilanzen prüft, die
Genehmigung für außerordentliche Verwaltungsakte erteilt, den
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