Seine Heiligkeit: Die geheimen Briefe aus dem Schreibtisch von Papst Bendedikt XVI. (German Edition)
längere Passagen, die auf ihn selbst Bezug
nehmen, um eine Personalisierung zu vermeiden. So eliminiert er im Zusammenhang
mit einer möglichen künftigen Anerkennung der Piusbruderschaft den Satz: »Der
Heilige Vater beabsichtigt nicht, von einer unerlässlichen Bedingung Abstand zu
nehmen« und ersetzt ihn durch: »Die volle Anerkennung des Zweiten Vatikanischen
Konzils und des Lehramts der Päpste Johannes XXIII.,
Paul VI., Johannes Paul I., Johannes Paul II.
sowie Benedikt XVI. ist eine unerlässliche Bedingung.«
Die Polemiken verstummen nicht, sondern gehen mit zahlreichen Wortmeldungen von
jüdischer, deutscher und vatikanischer Seite sowie seitens der Piusbruderschaft
noch monatelang weiter.
Benedikts gegen Merkel gerichtete Note
Benedikt XVI. versucht,
in Deutschland zu intervenieren, wo die Situation ganz besonders heikel ist.
Die Gemeinschaft der Bischöfe und Kardinäle ist in der Frage gespalten, vor
allem aber droht eine diplomatische Krise in der Beziehung zur deutschen
Bundesregierung. Am 17. Februar
richtet Ratzinger aus seinen Privaträumen eine vertrauliche Note (mit kleinen
Fehlern im Italienischen) an Bertones Substituten, Erzbischof Filoni. Es ist
vielleicht das erste Mal, dass man die Gelegenheit hat, interne Bemerkungen und
Verfügungen zu lesen, die ein Papst in einem so schwierigen Augenblick an seine
engsten Mitarbeiter richtet. Ratzinger ärgert sich sowohl über einige deutsche
Kardinäle als auch über die Apostolische Nuntiatur in Berlin. Das Problem
Williamson lässt sich nicht aus der Welt schaffen, sondern gewinnt zunehmend
internationale Brisanz.
Die Angelegenheit hatte sich wenige Tage zuvor, am 3. Februar,
weiter zugespitzt. Am Morgen bekundete Bertone im Avvenire ,
der Tageszeitung der Italienischen Bischofskonferenz, unvorsichtigerweise seine
Zufriedenheit und erklärte, die »Krise« mit dem Judentum sei beigelegt, er habe
vom Rabbinat in Jerusalem und von israelischer Seite Signale der Entspannung
empfangen. Doch schon am Nachmittag klingen die Worte des Kardinals wie blanker
Hohn. Bundeskanzlerin Angela Merkel heizt die Debatte weiter an, als sie den
Heiligen Stuhl frontal angreift: Der Papst und der Vatikan müssten »eindeutig
klarstellen, dass es keine Leugnung des Holocaust geben darf«, sagt Merkel. Aus
ihrer Sicht seien »diese Klarstellungen noch nicht ausreichend erfolgt«. Diese
Erklärung scheint die Diplomatie des Heiligen Stuhls zu überrumpeln. Es
vergehen Stunden, ehe der Vatikansprecher Federico Lombardi nach Rücksprache
mit Bertone versucht, die Wogen zu glätten. Er verweist auf klare
Stellungnahmen Benedikts XVI. gegen den
Antisemitismus in jüngster Zeit und auf »die volle und unbestreitbare
Solidarität« des Papstes mit den »jüdischen Brüdern«. Doch das reicht nicht.
Die Worte der Bundeskanzlerin gehen um die Welt.
Der Protest der katholischen Kirchenvertreter ist lau, und das
ärgert den Papst. Benedikt versteht Merkels Äußerung als eine schwerwiegende
und ungerechtfertigte Einmischung in innerkirchliche Angelegenheiten. Empört
ist er insbesondere über die zaghafte Reaktion des Apostolischen Nuntius in
Berlin, Jean-Claude Périsset. Seiner Ansicht nach hätte der Diplomat offiziell
protestieren und die Vorwürfe zurückweisen müssen. Das geht aus der Notiz des Papstes
an Filoni hervor.
Die Reaktion
des Nuntius auf die Äußerungen von Frau Merkel (Anlage 1 zum Brief vom 4. Februar) ist zu schwach – nur eine
Information. Nötig gewesen wären dagegen klare Worte des Protests gegen diese
Einmischung in die Angelegenheiten der Kirche.
Benedikts Verbitterung gegenüber Merkel hat keine schwere
diplomatische Krise zur Folge. Der Wunsch, bald einen Schlussstrich zu ziehen,
um auf dem Weg der Wiedereingliederung und der Überwindung des Schismas
voranzukommen, steht im Vordergrund. Im Übrigen erklärt der Sprecher der
deutschen Bundesregierung, Ulrich Wilhelm, am Tag darauf, die Kanzlerin habe
sich »zu einer politischen Grundsatzfrage« geäußert. Also keine Einmischung in
innerkirchliche Angelegenheiten.
In Wirklichkeit handelt es sich längst nicht mehr nur um einen
Zwischenfall in den diplomatischen Beziehungen zwischen souveränen Staaten. Der
Vorfall zeigt, dass die römische Kurie bei der Krisenbewältigung nach wie vor
beträchtliche Defizite aufweist. Das Missbehagen wächst, sodass einige
Kurienkardinäle anfangen, die Vorgehensweise des Vatikans offen zu kritisieren.
Walter Kasper, Vorsitzender der
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