Seine Heiligkeit: Die geheimen Briefe aus dem Schreibtisch von Papst Bendedikt XVI. (German Edition)
den
wachsenden Einfluss Chinas, Indiens und anderer östlicher Länder, die seit
einigen Jahren auf den internationalen Finanzmärkten immer stärker werden. In
der Kurie fürchtet man, dass sich im Lauf der Zeit mit dem finanziellen,
wirtschaftlichen und geopolitischen Neokolonialismus von Mächten wie China auch
Nihilismus und Atheismus ausbreiten, die in den Kulturen und Ideologien dieser
Staaten verankert sind. Der Rückgang von Spenden und der Nihilismus der
Chinesen sind die beiden Eckpunkte eines zunehmend bedrohlichen Szenarios.
Es ist schwierig, eine mittel- oder langfristige Strategie zu
entwickeln und Empfehlungen abzugeben, wie man reagieren soll. Die Erfahrungen
der Vergangenheit lassen sich nicht wiederholen, jede Zeit hat ihre
Eigenheiten.
Die römische Kurie ist wegen der wirtschaftlichen Risiken in der
Zukunft der westlichen Welt sehr besorgt. Angesichts steigender Angst und Sorge
haben die Analysen und Vorschläge anerkannter Experten immer mehr Gewicht.
Angesehene Professoren und Wirtschaftsexperten gewinnen an Einfluss und spielen
eine zunehmend wichtige Rolle. Ein Beispiel ist ein konservativer Katholik, ein
Laie, der sich in kürzester Zeit größtes Vertrauen im Vatikan erwarb: Ettore
Gotti Tedeschi, ein Bankier mit Verbindungen zum Opus Dei, ein Freund von
Giulio Tremonti und von Herbst 2009 bis Mai 2012 Präsident der
Vatikanbank IOR. Der Professor für Finanzwirtschaft
und Wirtschaftsethik war Leitartikelschreiber beim Osservatore
Romano , stieg zum Bankier des Papstes auf und machte in den besonders
schwierigen Momenten, die der Heilige Stuhl in jüngster Zeit erlebte, immer
wieder von sich reden. Gotti Tedeschi hat Padre Georg Dutzende vertraulicher
Berichte, Memoranden und Vermerke geliefert. Es gab einen regen Briefverkehr,
damit Benedikt XVI. immer auf dem Laufenden war und
Entscheidungen treffen konnte. Wie wir in den vorherigen Kapiteln bereits
gesehen haben, wusste sich der Professor auch in den schwierigsten Situationen
zu behaupten. So entwickelte er zum Beispiel Strategien, um die Ermittlungen
zur Geldwäsche des IOR zu überstehen,
die 2010
gegen die Vatikanbank eröffnet wurden. Diskret schlug er die entscheidenden
Schritte vor, um das Finanzsystem transparenter zu machen, oder riet von einer
Beteiligung des IOR an der San-Raffaele-Klinik von Don
Verzé ab, um einen Schiffbruch mit dem ehrgeizigen Projekt eines Großklinikums
des Heiligen Stuhls zu verhindern.
Mit seiner Tätigkeit übernahm er die informelle, aber strategisch
bedeutsame Rolle eines Wirtschaftsberaters des Päpstlichen Hauses, und im Laufe
der Zeit erreichte er, dass sich das Verhältnis zu Bertone, der ihn eingeführt
hatte, abkühlte, während er seine Beziehungen zum Privatsekretär des Papstes
und zu Benedikt selbst vertiefte. [1] Manchen seiner Vorgänger wie Marcinkus
ging es um die »Macht um der Macht willen«, doch Gotti Tedeschi muss man
zugestehen, dass er weder habgierig ist noch aus persönlichen Interessen
handelt.
Die Leitung des IOR liegt in Händen
des Generaldirektors Paolo Cipriani, und an der Spitze der Güterverwaltung des
Apostolischen Stuhls (APSA) steht Paolo
Mennini, der Sohn von Luigi, dem früheren Mitarbeiter von Marcinkus. Gegen
beide wurde wegen des Zusammenbruchs des Banco Ambrosiano ein Haftbefehl
erlassen, der später vom Kassationsgericht wieder aufgehoben wurde. Gotti
Tedeschi leistete mit Analysen und seiner operativen Strategie einen wichtigen
Beitrag für den Papst und die Kardinäle seines Vertrauens, stets eingebunden in
ein stabiles Netz internationaler Beziehungen. Er verkörperte eine neue
Erscheinung und musste zwangsläufig mit jemandem wie Cesare Geronzi in Konflikt
geraten, der seinen Posten gern übernommen hätte und den eigenen Einfluss
ausweiten wollte.
Die an Padre Georg gerichteten Memoranden fanden ihren Weg auf den
Schreibtisch des Papstes oder gingen in die neuesten Berichte ein, die seine
Privatsekretäre mehrmals am Tag verfassten. Gotti Tedeschi beschäftigte sich
auch noch mit weiter reichenden Problemen. Er war es, der in vertraulichen
Memoranden Alarm schlug wegen der Verarmung des Westens und des zunehmenden
Reichtums nicht katholischer Länder. Für ihn liegt die Gefahr einer Bedrohung
der Kirche in der Zukunft, wie sich aus seinem »zusammenfassenden Bericht für
Mons. Georg Gänswein persönlich« vom Juni 2011 ergibt:
Durch die
aktuelle Wirtschaftskrise (die nicht nur noch nicht überwunden ist, sondern
erst am Anfang steht) und die
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