Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Seine Lordschaft lassen bitten

Titel: Seine Lordschaft lassen bitten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dorothy L. Sayers
Vom Netzwerk:
künstlerisch veranlagt, nicht wahr?«
    »Ich wollte, Sie bedienten sich nicht solcher Gemeinplätze, Sally. Künstlerisch veranlagt! Wer ist dieses Mädchen?«
    »Eine Stenotypistin in der Abteilung, wo die Reklametexte angefertigt werden.«
    »Aber, Sally!«
    »Nichts dergleichen. Ich habe sie nie zu sehen bekommen. Sie heißt Gladys Twitterton. Der Name ist gräßlich genug, um jemanden abzustoßen. Sie telefonierte gestern abend und erzählte uns, daß dort jemand sei, der den alten Plant in Öl gemalt habe, und ob es von Interesse sei. Drummer war der Ansicht, daß es wert ist, das Ding anzusehen. Mal was anderes wie diese ewige Fotografie, die durch alle Zeitungen geht.«
    »Ach so. Wenn man einen exklusiven Bericht hat, ist ein exklusives Bild besser als gar nichts. Das Mädchen scheint auf dem Quivive zu sein. Freundin des Künstlers?«
    »Nein – behauptete, er würde wahrscheinlich sehr verärgert darüber sein, daß sie es mir gesagt habe. Aber damit werde ich schon fertig. Ich möchte nur, daß Sie mitkämen und es sich ansahen. Und mir einen Wink gäben, ob ich es als Werk eines unbekannten Meisters oder nur als ein gut gelungenes Ebenbild deklarieren soll.«
    »Zum Kuckuck noch mal, wie kann ich sagen, ob es ein gut gelungenes Ebenbild ist, wenn ich den Kerl nie gesehen habe?«
    »Das werde ich auf jeden Fall behaupten. Aber ich will wissen, ob es gut gemalt ist.«
    »Verdammt noch mal, Sally, was hat es schon zu sagen, ob es gut gemalt ist oder nicht? Ich habe anderes zu tun. Wer ist denn der Künstler? Hat man von ihm schon etwas gehört?«
    »Weiß nicht. Den Namen habe ich hier irgendwo.« Sally wühlte in seiner Hüfttasche und fischte eine Menge schmutziger und stark mitgenommener Briefe heraus. »Irgend so ein komischer Name wie Buggle oder Snagtooth – warten Sie mal –, hier haben wir ihn ja. Crowder. Thomas Crowder. Ich wußte, daß es kein gewöhnlicher Name war.«
    »Sehr viel Ähnlichkeit mit Buggle oder Snagtooth. Na schön, Sally. Ich will den Martyrer spielen. Führen Sie mich zum Opferplatz.«
    »Wir wollen schnell noch einen heben. Hier ist Warren. Dies ist Lord Peter Wimsey. Diesen spendiere ich.«
    »Nein, ich«, korrigierte der Fotograf, ein abgekämpfter junger Mann, der nicht viele Illusionen gerettet zu haben schien. »Drei große White Labels, bitte. Na, zum Wohl! Bist du fertig, Sally? Dann machen wir uns besser auf. Ich muß nämlich um zwei Uhr zur Beerdigung in Golders Green sein.«
    Mr. Crowder von der Firma Crichton schien durch Miss Twitterton schon auf den Besuch vorbereitet zu sein, denn er empfing die Abgesandten mit finsterer Resignation.
    »Die Direktoren werden nicht begeistert sein«, meinte er, »aber sie haben schon so viel über sich ergehen lassen müssen, daß eine Unregelmäßigkeit mehr oder weniger sie wahrscheinlich auch nicht umwerfen wird.« Er hatte ein kleines, ängstliches, gelbes Affengesicht. Wimsey schätzte ihn auf Ende Dreißig. Er bemerkte die schönen, kräftigen Hände, von denen eine durch einen Streifen Heftpflaster verunstaltet war.
    »Haben Sie sich verletzt?« fragte Wimsey liebenswürdig, als sie die Treppe zum Atelier hinaufstiegen. »Das dürfen Sie nicht zur Gewohnheit werden lassen. Die Hände eines Künstlers sind sein Kapital – mit Ausnahme natürlich von armlosen Wundern und solchen Leuten! Anstrengend, mit den Zehen zu malen.«
    »Oh, es ist nur eine Kleinigkeit«, entgegnete Crowder, »aber es ist besser, wenn man keine Farbe in Schrammen bekommt, sonst kann man sich eine Bleivergiftung zuziehen. Hier ist das verfehlte Porträt. Ich will Ihnen gleich verraten, daß es dem Sitzenden nicht gefallen hat. Er wollte es um keinen Preis haben.«
    »Nicht schmeichelhaft genug?« fragte Hardy.
    »Sie haben es erfaßt.« Der Maler zog das etwa ein Meter dreißig lange und ein Meter breite Ölgemälde aus seinem Versteck hinter aufgestapelten Plakatkartons hervor und stellte es auf die Staffelei.
    »Oh!« rief Hardy ein wenig überrascht. Das Gemälde selbst gab allerdings keinen Grund zur Überraschung. Es war eine ziemlich unkomplizierte Leistung. Die Geschicklichkeit und die Originalität der Pinselführung waren von einer Art, die den Maler interessiert, ohne den Laien zu schockieren.
    »Oh!« sagte Hardy nochmals. »Sah er wirklich so aus?«
    Er trat näher an das Gemälde heran und betrachtete es so intensiv, als blickte er in das Gesicht des lebenden Mannes in der Hoffnung, etwas daraus zu lesen. Unter dieser mikroskopischen

Weitere Kostenlose Bücher