Seine Toten kann man sich nicht aussuchen: Eine Polizistin erzählt (German Edition)
Warnbaken fliegen zur Seite, Staub wird aufgewirbelt, und weg ist er.
Während die Kollegen zu ihren Autos zurückrennen, entscheide ich mich, ihm zu folgen, und rumpele ebenfalls durch die Schlaglöcher und die unebene Fahrbahn der Baustelle, um dann vor den anderen Polizeifahrzeugen, in die die Kollegen gerade wieder reinspringen, auf die Fahrbahn einzubiegen und dem Mercedes zu folgen.
Am Funk ist lautes Fluchen zu hören. Ich konzentriere mich auf die Straße, denn leider sind außer uns auch normale Verkehrsteilnehmer unterwegs. Muttis, die ihren Rückspiegel nur benutzen, um die Brut auf dem Rücksitz zu beobachten. Lkw, deren Fahrer gerade mit Fernsehen oder Kaffeekochen abgelenkt sind. Junge Frauen in Kleinwagen, die mal eben noch den Sitz der Frisur im Spiegelchen kontrollieren. Oder der altbekannte Mann mit Hut, der allein damit voll ausgelastet ist, sich am Lenkrad festzuhalten. Alle sind zu beschäftigt mit allem Möglichen, um den silbernen SLK und unseren roten BMW über-haupt wahrzunehmen, geschweige denn, uns Platz zu machen.
Der Mercedes ist zwar eindeutig besser motorisiert als wir, aber er muss sich immer erst mal eine Lücke im Verkehr suchen, während ich einfach hinter ihm herrasen kann. Tim bastelt, gegen den Fahrtwind ankämpfend, unser Magnetblaulicht aufs Dach, während wir mit mehr als 200 km/h in Richtung der niederländischen Grenze rasen, und gibt der Leitstelle unseren Standort durch.
Die gemächliche Nachfahrt hat sich in eine ausgewachsene Verfolgungsfahrt verwandelt. Der Mercedes schießt über den Seitenstreifen an Lastern vorbei, wechselt rasend schnell die Spur, täuscht an, als wollte er die nächste Abfahrt runter, um dann doch zu beschleunigen. Aber Tim und ich kleben an ihm wie die Kletten.
»Na, so super wie du fährt der aber nicht, wenn der uns mit der Karre noch immer nicht abgehängt hat!« Tim grinst schief zu mir rüber, und seine Fingerknöchel der rechten Hand, mit der er den Türgriff fest umklammert hält, werden weiß.
Ich trete fast das Bodenblech durch und suche mir eine Lücke zwischen zwei Kleintransportern auf den Fahrspuren vor mir. Dabei bricht das Heck leicht aus, doch unser Auto ist gutmütig und lässt sich durch erneutes Gasgeben wieder in die Spur ziehen.
Auf einmal tönt es blechern aus dem Funk: »Tim, wenn du den Wagen zu Schrott fährst, kannst du die nächsten Wochen damit zubringen, unsere Waffen zu reinigen, und ein Abo auf Fahrzeugpflege hast du dann auch.« Unser Chef ist offenbar nicht amüsiert, dass er uns nicht einholt und dass wir überdies alleine mit dem guten Auto an dem gestohlenen Fahrzeug dranhängen.
»Janine fährt!«, antwortet Tim knapp, und ich meine, ein »Gott steh uns bei!« von meinem Vorgesetzten über Funk gehört zu haben, aber da könnte ich mich auch getäuscht haben. Schließlich bin ich immer noch hochkonzentriert damit beschäftigt, den Abstand zwischen mir und dem gestohlenen Wagen zu verringern und dabei möglichst keinen der anderen Fahrer abzudrängen oder zu gefährden.
»Erreichen die Niederlande in fünf Kilometern!«, gibt Tim vorschriftsmäßig durch, und ich stelle mir vor, wie auf unserer Leitstelle die Leitungen glühen, während man den Niederländern unseren bewaffneten Grenzübertritt ankündigt.
Ich weiche einem Kleinwagen aus, der sich entschieden hat, mit ganzen hundert Stundenkilometern direkt vor mir auf den Überholstreifen zu wechseln. Unser Wagen gerät ins Schlingern, und Tim neben mir murmelt ein »Ogottogott!«. Dann habe ich die Karre wieder unter Kontrolle.
An der Grenze erwarten uns zwei niederländische Motorradstreifen. Sobald sie uns sehen, beschleunigen sie und versuchen, mit uns mitzuhalten. Bei gut 210 km/h, die wir inzwischen fahren, ist das allerdings nicht sehr Erfolg versprechend. Die Blaulichter der Niederländer verschwinden langsam in unserem Rückspiegel, und ich habe endlich den Eindruck, dass unser Abstand zu dem Fliehenden kleiner wird.
Tim gibt brav unseren Standort über Funk durch und schönt die gefahrene Geschwindigkeit ein wenig, damit die Leitstelle die Verfolgungsfahrt nicht wegen zu hohen Risikos sofort abbricht. Meine Hände umkrampfen das Lenkrad, und in meinem Gasfuß breitet sich langsam ein ungesundes Kribbeln aus. Aber wir geben nicht auf, wir wollen den Kerl haben!
Die Autobahn ist hier befahrener als in Deutschland, und so wird unser Abstand zu dem Mercedes immer kleiner. Endlich entscheidet er sich falsch und rast an zwei Lkw rechts vorbei,
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