Seine Toten kann man sich nicht aussuchen: Eine Polizistin erzählt (German Edition)
geht uns einer durch die Lappen. Nachdem ich mein Adrenalin wieder unter Kontrolle hatte, war ich durchaus froh, dass ich ihn eben nicht gerammt oder ausgebremst hatte. Beides hätte bei der hohen Geschwindigkeit vermutlich einen schweren Unfall zur Folge gehabt. So habe ich zwar verloren, aber ich muss nicht damit leben, vielleicht einen jungen Autodieb bei einer Verfolgungsfahrt ins Jenseits befördert zu haben.
Genauso, wie dieser kleine Kriminelle uns entwischte, gehen uns allerdings hin und wieder auch rein zufällig die richtig großen Fische ins Netz.
Große Fische
2006
Drogenfahndung. Das beschreibt ungefähr meinen Job beim Einsatztrupp der Autobahnpolizei. Es bedeutet Autos anzuhalten, Fahrer und Fahrzeuge zu filzen, Drogen zu finden, böse Buben zu observieren. Es bedeutet aber hier und da auch, eine lange, einsame Nacht auf einem Rastplatz auf einen angekündigten Drogenkurier zu warten, ganz erbärmlich zu frieren und dann meist festzustellen, dass Drogenkuriere leider einen Hang zur Unpünktlichkeit und Unzuverlässigkeit haben.
Umso schöner ist es dann, tagsüber unterwegs zu sein. So auch an jenem sonnigen Montag im Juni. Wir haben unseren Zivilwagen frisch gewaschen und aufgeräumt und stehen mit dem glänzenden Gefährt nun, wie so häufig, wenn wir keinen speziellen Auftrag haben, an der Grenze zu den Niederlanden und beobachten den Verkehr Richtung Deutschland. Zwei Kollegen in einem zweiten Zivilwagen tun das Gleiche. Als sich eine auffällige schwarze Mercedes-Limousine mit Breitreifen, getönten Scheiben und italienischem Kennzeichen nähert, setzen wir uns, ohne uns abgesprochen zu haben, in Bewegung. Heute sitzt ausnahmsweise Tim am Steuer. Unauffällig rollen wir nacheinander über den Rastplatz und fahren kurz hinter dem Mercedes auf die Autobahn auf.
Als wir neben dem Wagen sind, betätige ich unauffällig den Funkknopf. »Zwei männliche Personen, südländisches Äußeres, gepflegte Kleidung!«
»Anhalten!«
Ich nicke Tim zu, der setzt unseren Wagen vor den der Italiener und schaltet an der nächsten Ausfahrt das »Bitte folgen!«-Schild an. Im Rückspiegel beobachte ich, wie die beiden Herren hektisch miteinander sprechen, und rechne fast damit, dass der Fahrer Gas gibt. Doch nichts geschieht. Brav folgt das Fahrzeug unserem dunkelgrünen Opel die Abfahrt hinunter und hält vorbildlich auf dem Parkstreifen an. Sofort sind die zwei Kollegen aus dem anderen Wagen an den Fahrzeugtüren, ich halte mich im Hintergrund und beobachte die Szenerie.
Der Fahrer, ein kleiner, kugeliger Mensch mit öligem Zopf und protzigem Goldschmuck, spricht einigermaßen gut Deutsch und gibt wild gestikulierend und mit gewinnendem Lächeln an, dass er in Rotterdam gewesen sei und dort mit seinem Banker, dem Beifahrer, Diamanten gekauft habe. Die Steine würden ihm jedoch per Boten zugestellt.
Wir tauschen untereinander Blicke. Jedem von uns ist klar, dass etwas an der Geschichte nicht ganz koscher ist. Wir bekommen ja viele absurde Geschichten aufgetischt: Man habe in den Niederlanden Urlaub gemacht, obwohl wir gesehen haben, dass das Fahrzeug vor nur fünfzehn Minuten die Grenze passiert hat. Oder man sei zum Fischen an der See gewesen, Gepäck und Fische habe man dann irgendwie auf dem Zeltplatz vergessen. Grandios war auch der Herr, der uns erzählte, er sei mal eben von Oberammergau nach Amsterdam gefahren, weil er gehört habe, die niederländischen Prostituierten seien besser als die Damen in Bayern. Im Kofferraum seines Autos fanden wir mehrere Pakete mit Marihuana.
Doch die Geschichte unserer italienischen Freunde stinkt so zum Himmel, dass sogar ich, die ich zu der Zeit noch ein wenig leichtgläubig war, es deutlich riechen kann. Zum einen spricht der angebliche Banker nicht ein Wort Englisch, zum anderen sind nirgends Dokumente über Diamantenkäufe, größere Mengen Bargeld oder gar Schecks zu finden.
Während die Kollegen die beiden Herren filzen, stehe ich mit schief gelegtem Kopf am Rand und beobachte die Vorgänge. Der angebliche Banker wird von Minute zu Minute nervöser, reibt sich die Hände, tritt unruhig von einem Fuß auf den anderen, und seine Pupillen verändern so rasch ihre Größe, dass ich das sogar aus mehreren Metern Entfernung erkennen kann und richtig deute. Rasch wische ich ihm mit einem kleinen Drogenteststäbchen durch den Mund und stecke es in den Auswertedeckel. Das Testfeld blinkt so schnell positiv bei Kokain auf, dass ich fast glaube, der Kerl hätte sich
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