Seine Toten kann man sich nicht aussuchen: Eine Polizistin erzählt (German Edition)
obwohl links genug Platz ist. Ich reiße das Steuer rum, und wir fliegen links an den Lastern vorbei.
Jetzt sind wir mit dem Dieb auf einer Höhe. Tim starrt in das Fahrzeug, und ich höre ihn empört keuchen. »So ein scheiß Milchbubi! Janine, da sitzt ein Kind am Steuer! Der ist höchstens sechzehn!«
Ich ziehe langsam nach rechts und dränge ihn in Richtung Seitenstreifen, immer die Drohung meines Chefs im Ohr: »Wenn ihr den Wagen schrottet, habt ihr Fahrzeugpflegedienst!« Aber mir fällt keine andere Möglichkeit ein, den Kerl zu stoppen, ganz davon abgesehen, dass ein Zusammenstoß mit über zweihundert Sachen jetzt auch nicht ganz ungefährlich wäre.
So rasen wir nebeneinander dahin, der Funk wird immer schlechter, die Blaulichter der niederländischen Kollegen in unserem Rückspiegel immer kleiner. Gerade als mich das Jagdfieber so gepackt hat, dass ich denke: Scheiß drauf, ich brems ihn jetzt einfach aus!, knackt es laut im Funkgerät.
»Verfolgung abbrechen!«, schallt es aus dem Lautsprecher, genau in dem Moment, als es mir gelungen ist, mich komplett vor den anderen Wagen zu setzen.
Tim wirft mir einen Blick zu und flüstert fast: »Ramm ihn!« Aber ich sehe keine Möglichkeit, den SLK so zu treffen, dass er kein anderes Fahrzeug gefährdet oder gar wir selbst uns ins Nirwana abschießen.
Betont langsam spricht Tim ins Funkgerät: »Wir können Sie nicht aufnehmen, wiederholen Sie!«
»Abbrechen. Sofort abbrechen!«
»Haben Fahrzeug überholt. Flüchtiges Fahrzeug kann ausgebremst werden«, gibt Tim den Sachstand durch.
Meine Hände werden feucht, und ich sehe den Fahrer des Mercedes in unserem Rückspiegel, während wir im Zickzackkurs über die Autobahn dahinrasen. Versucht er, rechts an uns vorbeizuziehen, schneide ich ihm den Weg ab, versucht er es links, tue ich es ihm gleich.
»Abbrechen. Verfolgung sofort abbrechen!«
Als hätte er den Funkspruch mitbekommen, reckt er grinsend den Mittelfinger in unsere Richtung, und während sich unser Auto eindeutig am Geschwindigkeitslimit befindet, schert er urplötzlich erneut nach rechts aus, drückt noch mal aufs Gas und versucht an uns vorbeizukommen.
Aus unserem Funkgerät schallt wieder die Durchsage: »Abbrechen! Die Niederländer übernehmen! Ihr sollt sofort abbrechen! Habt ihr verstanden?« Die Stimme am Funk lässt keinen Widerspruch zu.
Wütend knallt Tim das Funkgerät gegen das Armaturenbrett, und ich nehme zögerlich den Fuß vom Gas. Der Mercedes zieht an uns vorbei und verschwindet rasch vor uns im Verkehr, die niederländischen Motorradpolizisten fliegen an uns vorbei und heben grüßend den Arm. Dann sind auch sie weg.
»Verstanden, haben abgebrochen«, gibt Tim seufzend an die Leitstelle durch. »Kommen zurück in die BRD .« Dann wartet er einen Moment, bevor er wütend erneut ins Funkgerät spricht: »Und wenn die Niederländer den noch kriegen, dann geb ich ’ne Runde für jeden im Dienst befindlichen Kollegen aus! Verdammt, wisst ihr, wie nah wir an dem dran waren?«
Aus den Funklautsprechern kommt nur ein leises »Ja!«.
Tim verschränkt die Arme vor der Brust und schweigt den Rest der Fahrt, bis wir kleinlaut und immer noch wütend an der Wache ankommen. Die Kollegen stehen bereits im Hof, unser Vorgesetzter rennt erst mal drei Runden um den BMW , bis er sich überzeugt hat, dass das heilige Blech nichts abbekommen hat.
Dann sagt er halbherzig grinsend: »Man muss auch verlieren können. Irgendwann kriegen wir sie doch alle!«
»Aber nur, wenn man verlieren MUSS !! Fünf Minuten länger, und wir hätten ihn bremsen können! Aber so, das ist einfach nicht fair!«, schnappe ich zurück und kann mir so grade noch ein kindisches Aufstampfen mit dem Fuß verkneifen. Dann marschiere ich ins Wachgebäude, um mir einen Schokoriegel zu holen und mein Gemüt zu beruhigen.
Tim muss natürlich keine Runde ausgeben, denn der Täter hat sich tatsächlich aus dem Staub machen können. Ich träume noch ein paar Tage davon, wie ich mit Tim auf dem Beifahrersitz durch die ganzen Niederlande rase und den Autodieb schließlich doch noch mitten in Amsterdam an einer Gracht stelle. Das Gesicht des jungen Burschen am Steuer und sein gereckter Mittelfinger haben sich in mein Hirn eingebrannt. Nie werde ich ihn vergessen, und immer werde ich hoffen, ihn doch noch bei einer anderen Missetat zu erwischen. Doch die Wahrheit ist: Er und der gestohlene SLK sind bis heute nicht mehr aufgetaucht, leider.
So ist das nun mal: Hin und wieder
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