Seine Toten kann man sich nicht aussuchen: Eine Polizistin erzählt (German Edition)
gehabt, dort versteckte ich die Waffe entweder unter einem um die Hüfte geknoteten Pullover, oder man sah sie sowieso nicht, da wir meist im Auto saßen.
Ich probiere also verschiedene Möglichkeiten aus, bekomme von den hilfreichen Kollegen so ziemlich jedes denkbare Holster geliehen, und trotzdem sehe ich aus, als hätte Rotkäppchen sich die Waffe des Terminators geliehen – also nicht sehr vertrauenerweckend.
Schließlich hat einer der Kollegen den rettenden Einfall: Eine spezielle Bauchtasche muss her. Sie ist schwarz und alles andere als kleidsam, aber immerhin praktisch. In einem dafür vorgesehenen Fach kann ich Waffe, Reservemagazine, Handfesseln und alles verstauen, was ich sonst noch benötige – auch meine Notfallschokoladenriegel, die ich statt Zigaretten immer noch für stressige Einsätze dabeihabe. Endlich kann ich, vernünftig ausgerüstet, seriös und kompetent wirkend, meinen Dienst versehen, auch wenn ich immer noch wesentlich jünger und unerfahrener bin als meine Kollegen dort. Aber ich bin ja zum Lernen da.
Es ist ein sehr ruhiger Sommer, den ich auf der K-Wache verbringe. Die Hitze ist selbst in den klimatisierten Räumen kaum zu ertragen, und ganz Köln scheint unter einer großen Dunstglocke friedlich zu schlafen. Wenn ich mir möglichst viele Einsätze erhofft habe, um ein breites Spektrum an Erfahrungen zu sammeln, werde ich enttäuscht: Die meiste Zeit verbringe ich damit, mir mit den Kollegen die Zeit zwischen den Einsätzen vor dem Fernseher, am Computer oder mit einem Buch zu vertreiben.
Hier und da werden wir zu einer Leiche gerufen, weil der Notarzt zunächst einen nicht natürlichen Tod bescheinigt hat. Manchmal stellt sich dann heraus, dass die Todesursache Kreislaufkollaps aufgrund der Hitze war oder dass eine andere Erkrankung zum Tod geführt hat.
In diesem Sommer komme ich auch in den fragwürdigen Genuss meiner ersten Leichenschau, der weitere folgen, und besuche die Gerichtsmedizin. Dort spähe ich in die Körperöffnungen von Toten, halte fahle Arme fest, während die Kollegen den Körper abtasten, dokumentiere das Brechen der Leichenstarre, das manchmal notwendig ist, um die steifen Glieder der Toten bewegen zu können, was natürlich genauestens dokumentiert werden muss, da die Verletzungen der Muskulatur sonst einen Gerichtsmediziner eventuell zu falschen Schlüssen verleiten könnten.
Dabei entdecke ich, dass mir der Leichengeruch, mit dem viele Kollegen zu kämpfen haben, nichts ausmacht. Jeder Polizist hat seine Schwachstelle: Viele Kollegen verdrehen angeekelt die Augen, wenn sie in eine Wohnung müssen, in der eine nicht ganz frische Leiche liegt. Einige haben Probleme, wenn sie mit Kot und Urin konfrontiert werden. Mein Schwachpunkt ist Kotze. Erbricht sich jemand in meiner Nähe, habe ich Mühe, nicht daneben zu reihern. Einer meiner Lieblingskollegen behauptet, das komme daher, dass sich mir einmal der Mageninhalt eines Suizidenten, der sich unter dem Dach seines Hauses erhängt hatte, auf die Schuhe ergoss, als wir den Körper vorsichtig abnahmen und dem Toten dabei versehentlich auf den Bauch drückten. Ich bin jedenfalls froh, dass mir Leichengestank nicht so sehr zu schaffen macht, denn damit haben wir doch recht häufig zu tun.
So eben auch in diesem Sommer. Durch die Hitze werden Leichen rasch zu großen Stinkern, die schlimmstenfalls schon seit Wochen und Monaten einsam in ihren Wohnungen vor sich hinmodern und bisher von niemandem gefunden wurden. Die Überreste einsamer Existenzen, die von niemandem vermisst werden und deren Nachbarn auch die Fliegen am Fenster oder der unangenehme Geruch im Flur bisher nicht aufgefallen sind oder nicht auffallen wollten.
Zu so einem Stinker sind wir auch an diesem sonnigen Dienstagmittag im Zivilwagen unterwegs. Bereits am Funk konnte man hören, dass die Streifenbeamten vor Ort sich ordentlich ekelten.
Als wir vor dem Hochhaus halten, stehen zwei Kollegen vor dem Haus und wedeln sich Luft zu. Um die Nasen sind sie leicht grün angelaufen. Mein Partner Norbert, ein erfahrener Kripobeamter, zieht tadelnd eine Augenbraue hoch. »Warum seid ihr nicht oben in der Wohnung?«
Er erntet lediglich angeekelte Blicke. »Da kriegen mich keine zehn Pferde mehr rein!«, ächzt einer der beiden, den ich zufällig kenne und den ich bisher für recht hart im Nehmen gehalten habe. Ich bin also gewappnet. Dass mir jedoch bereits im Erdgeschoss der süßliche Verwesungsgeruch wie eine Wand entgegenschlagen würde, obwohl der
Weitere Kostenlose Bücher