Seine Toten kann man sich nicht aussuchen: Eine Polizistin erzählt (German Edition)
meint eine ältere Dame schnippisch, bevor sie uns die Tür vor der Nase zuknallt.
Eine Etage unter der Wohnung des Toten finden wir endlich jemanden, der mehr zu berichten weiß. »Vor einigen Wochen hat sich an meiner Wohnzimmerdecke dieser feuchte Fleck gebildet«, meint der ältere Mann, dessen Kleidung eher so aussieht, als würde er jede Nacht unter einer Brücke schlafen, und dessen Bart gelb vom Nikotin verfärbt ist. »Fand ich erst noch ganz normal, alte Leitungen halt, da tropft es schon mal hier und da. Aber vor ein paar Tagen hat es dann angefangen, ständig aus dem Fleck zu tropfen!«
Er zieht uns in die Wohnung und deutet an die Decke im Wohnzimmer, an der ein großer brauner Fleck zu sehen ist – genau unter der Stelle, wo der Leichnam lag.
Mich schüttelt es, als ich mir vorstelle, wie die Körpersäfte des Toten in den Boden eingedrungen sind und in der Wohnung darunter auf den Wohnzimmertisch tropften.
Ob wir was gegen die undichte Wasserleitung getan hätten, will der Herr wissen. Keine Frage, ob beim Nachbarn oben alles in Ordnung sei, keine Frage, woher der eklige Geruch komme, der auch in seiner Wohnung deutlich wahrzunehmen ist. Nichts. Ich will ihm gerade eröffnen, dass das kein Wasser war, das da auf seine Sitzgruppe getropft ist, als Norbert mir die Hand auf den Arm legt. »Lass gut sein.«
Bedrückt schweigend, verlassen wir das Haus. Die uniformierten Kollegen stehen immer noch draußen vor der Treppe und schauen uns entgegen. Die Bestatter laden gerade den Zinksarg ein, um ihn in die Gerichtsmedizin zu fahren.
Einer der Kollegen in Uniform fischt mir zwei Käfer aus den Haaren. »Sag bloß, du hast in den Viechern rumgewühlt? Ist ja widerlich! Warum machst du so was?«
»Weil sie es kann, ohne zu kotzen«, antwortet Norbert an meiner Stelle. Ich grinse, weil er tatsächlich leicht beeindruckt klingt.
Es dauert ganze zwei Tage, bis wir uns den Geruch endlich aus Haaren und Händen gewaschen haben. In diesen zwei Tagen habe ich mir gefühlte zwanzig Mal die Haare eingeseift und meine Klamotten mit dem schärfsten Waschmittel behandelt, das ich kriegen konnte. Nichts hat gewirkt. Norbert und ich stanken vor uns hin, als hätten unsere Poren den Geruch absorbiert und wollten ihn nur unter Protest wieder preisgeben.
Am ersten Tag, an dem niemand mehr die Nase rümpft, wenn wir einen Raum betreten, sitze ich mit Norbert im Zivilwagen. Wir haben gerade einen total besoffenen jugendlichen Ausreißer in einer Kneipe in der Innenstadt eingesammelt und sollen ihn zu seinen Eltern zurückbringen.
Während der Autofahrt wird der Bursche immer grüner im Gesicht. Ich hocke neben ihm auf dem Rücksitz, peinlichst darauf bedacht, ihn beim kleinsten Anzeichen in die andere Richtung zu drücken, damit ich bloß nichts von seiner Alkoholkotze abbekomme. Was soll ich sagen – es gelingt mir nicht. Als wir am Zielort ankommen, ist alles voll mit Erbrochenem. Meine Jeans, mein Pullover, meine Hände und der Rücksitz.
Ich schubse den Burschen recht unsanft aus dem Auto, betrachte kurz die Sauerei, habe mich noch genau zwei Sekunden im Griff und entsorge dann die Pizza, die ich mittags gegessen habe, in einen Mülleimer am Straßenrand. Norbert liefert währenddessen den kleinen Alkoholsünder bei seinen Eltern ab und steht dann mit verschränkten Armen und grinsend neben mir, während ich mich ordentlich auskotze.
»Aha, Schwachstelle gefunden! Wäre mir auch unheimlich gewesen, wenn du dich vor nix ekelst«, lacht er, als ich endlich so weit bin, dass ich wieder ins Auto steigen kann.
»Gib mir ’ne richtig fiese, matschige Leiche, und ich veranstalte damit, was du willst. Aber Kotze ist wirklich das Widerlichste, was es gibt auf der Welt!« Ich wische mir den Schweiß von der Stirn, trinke einen Schluck Wasser und betrachte mit Grausen die klebrige Masse auf dem Rücksitz und auf meiner Kleidung. Der einzige Vorteil ist, dass der Geruch nach dem Duschen komplett weg ist und auch die Kleidung nach einer Wäsche wieder normal riecht, anders als beim süßlichen Leichengeruch, der sich regelrecht in allem festfrisst, was mit ihm in Berührung kommt.
In diesem Sommer auf der Kriminalwache bekomme ich einen Einblick in die Dinge, die ein Streifenpolizist normalerweise nicht mehr mitbekommt, weil es die Arbeit der Kripo ist. Nach einem Bankraub helfe ich bei der Spurensicherung, ich lerne, wie man Fingerabdrücke abnimmt und wie man mit den Bakterietten – langstieligen Wattestäbchen mit
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