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Seine Zeit zu sterben (German Edition)

Seine Zeit zu sterben (German Edition)

Titel: Seine Zeit zu sterben (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert Ostermaier
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halben Tag Mädchen sein, über Cremes quatschen und es ganz entspannt gleiten lassen. Es geht nicht gegen dich, mein Süßer, Petra hat Probleme, und ich will nicht dieselben bekommen, deshalb brauch ich einfach immer mal wieder auch etwas Zeit für mich, wo keiner an mir zieht. Ich sag ja auch nichts, wenn du mit deinen Jungs Fußball spielst oder schaust.« Sie fuhr mit ihrer Faust seinen Schenkel hoch. »Und jetzt fahren wir Aschau. Wir können uns ja dann allein ein Taxi gönnen und müssen nicht den Bus nehmen.« Sie schob den Bügel hoch. Weit vor dem Netz, das sie auffangen sollte, fielen sie vor dem Ausstieg.

10
    Die Streif musste begonnen haben. Ein Raunen rauschte über die Hänge, klammerte sich an die Lifte, multiplizierte sich in den staunenden Mündern, in den unwissend geweiteten Augen, in den nervösen Schultern der Liftmänner, die zurück zu ihren Radios oder Bildschirmen wollten und den Himmel nach Zeichen absuchten, dem Vogelflug der Helikopter. Jeder hatte seine Privatmythologie, warum es heute klappen musste. Weil es mehr rote als blaue Anoraks gab, mehr weiße als gelbe Skischuhe, weil das Thermometer stieg, weil drei Streifen am Horizont waren, das gleiche Unterhemd, die gleichen Socken, weil er sich eine Woche nicht rasiert hatte, weil der Schnee es erzählte, weil der Eiszapfen es mit seinen Tropfen in den Boden bohrte, egal weshalb, ein Österreicher musste gewinnen. »Der Wind riecht nach Franz Klammer«, hatte ein schmierig lächelnder, sich wortlos für jede Bewegung entschuldigender Mann Ödön fast angeschrien und war dann im Lift zu ihm hinübergerutscht, war unangenehm nahe gekommen mit seiner abstoßenden körperlichen Präsenz, als hätte er Mundgeruch, als würde er zum Frühstück Fliegen fangen und sie mit seinen fetten, schmierigen Fingern zerdrücken, um sie auf sein Honigbrot zu kleben. Er platzte aus seinem Anorak, der mit seinen rosa Ballonärmeln aus einem anderen Jahrtausend kam. Man erwartete einen blonden langhaarigen Herkules oder Sonnyboy, aber dieser Mann hatte im Blick, in seinem devoten Lächeln ein Kellerverlies, einen Bunker für dunkle Begierden, hinter jedem Satz fiel eine Eisentür ins Schloss. »Heute werden wir gewinnen.« Und erst jetzt fiel Ödön auf, dass er ein Deutscher war, dass er einen eigentümlichen deutschen, verwehten Akzent hatte, eine belegte Stimme, eine Blaupilzzunge. Zum Glück waren sie in keiner Gondel, sagte er sich und wollte einwenden, nie und nimmer würde der einzige Deutsche gewinnen, im Gegenteil, der könne froh sein, wenn er ohne Verletzung den Zielraum erreiche und nicht vom Gespött der Menge totgeprügelt würde.
    »Da, schau, da drüben«, der Deutsche zeigte auf einen Skikurs, »da schlittert unsere Zukunft! Das sind die Streifhörnchen. Ich hab schon geschrieben, wir müssen die Samenproben unserer Streifgewinner sammeln, den Ferstl Sepp, und dann müssen wir sie unseren goldenen Skimädels einspritzen, Skiborn, verstehen Sie, dieses Mal zum Wohle der Skination, wir dürfen uns nicht länger erniedrigen lassen von diesen Österreichern und Schweizern, das gefährlichste Rennen der Welt muss ein Deutscher gewinnen, wir gewinnen ja auch die Formel 1. Sie werden sehen, Sie werden von mir hören, ha!«, der Kauz sprang fast aus dem Lift und beschleunigte, wie man es seinem Gewicht nicht zutraute, er wurde plötzlich ganz geschmeidig, ging in die Knie, schwebte fast über die Buckel, er nahm die Abkürzung durchs Gelände.
    Ödön verfolgte den Skikurs, der unten querte. Es waren nur noch Skikurse unterwegs. Sie schossen aus dem Schnee in allen Farben und Leiberln, lauter kleine Teufel mit Leuchtwesten und Tierhelmen, Häschenohren.
    Es gab Kurse mit Kindern in Kostümen. Obwohl Fasching noch fern war, waren sie ganz verkleidet und die Piste glich an manchen Stellen einem Streichelzoo. Ödön hoffte nur, dass die Mangas nicht auch noch das Skigebiet für sich entdecken würden und er mit japanischen Monstern oder Mädchen mit zerrissenen Netzstrümpfen Schlepplift fahren müsste.
    Dort unten musste der nächste Unfall passiert sein. Zwei Skidos brachten Kinder zu einem am Rand gelandeten Helikopter, der gleich den Schnee aufstäuben würde, und während die RedBull-Showhelikopter und Weltkriegsmaschine Kunststücke zeigten und Saltos durch die Luft schlugen, einen Looping nach dem anderen auf die sonnenüberflutete Postkarte zauberten, weinte ein Kind, schrie vor Schmerz, übertönt von den Rotorblättern, dem Schluchzen

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