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Seine Zeit zu sterben (German Edition)

Seine Zeit zu sterben (German Edition)

Titel: Seine Zeit zu sterben (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert Ostermaier
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warum 21, aber er gehorchte, der Huller war doch ein Held, ein Held wie Superman oder Batman, ein dunkler Held, so ein Held, der ein Unglück hatte, der durch ein Unglück Superkräfte bekam, von denen keiner wusste, der Huller, dessen Ski berührten gar nicht den Schnee, dachte er, hatten die anderen Jungs gesagt, der Huller ist ein Teufelskerl.
    »21«, brachte er brav über die Lippen.
    »Weißt du, wie lange das war? Das war eine Welt, Gosse oder Gold. Bis du schaust, ist alles vorbei. Dann kannst du noch im Fernsehen mit den Augen mitfahren oder mit einer Kamera in der Brille für die Deppen da draußen, die mit ihren Bierbäuchen zusehen und hoffen, dass es dich zerlegt, wenn sie rülpsen. Dann kannst du noch mal alles riskieren, aber eigentlich interessiert sich keine Sau mehr für dich, es sei denn, du beleidigst die Jungen, sagst, die können nichts, die reißen nichts, die gewinnen nichts, die haben keinen Biss, die beißen nicht, die fressen nicht Schnee, die sind verwöhnt, die Fernsehgelder, das Sponsoring, die Werbung, die Jungen gewinnen die Streif, bevor sie die Streif gewinnen und gewinnen sie dann nicht, nie, keine Gondel wird ihren Namen tragen, keine Gondel, in der fette Russen, rotzige Holländer, die Wiener Würstelbudenblasierten oder die Muschimünchner hocken und gescheit daherreden, wie sie die Streif runterjagen werden, und dann rutschen sie auf der Familienstreif runter wie von ihren aufgespritzten Frauen mit den Botoxbuckelpisten zu Hause. Aber das verstehst du nicht. Jetzt sind wir da, siehst du es, ist es nicht atemberaubend? Aber das musst du lernen. Für wen, für was magst du denn gewinnen, das musst du dich fragen. Für die andern oder für dich? Für die andern und für dich gewinnst du nur für den Teufel, der mit seinem roten Lippenstift die Tore markiert für dich. Du musst, du kannst nur für den Schnee gewinnen, für den Berg, dem du zeigst, dass du ihn liebst. Du musst den Berg lieben, der Berg ist dein Freund und der Schnee ist der Freund des Berges und er liegt auf ihm, so, schau her, so liegt er auf ihm, wie er auf deiner Haut liegt. Du gehörst zum Berg und zum Schnee, du gehörst nicht mehr denen da draußen. Dein einziger echter, dein einziger wahrer Sieg, der bleibt, den dir keiner nehmen kann, weil ihn keiner haben will, dein einziger Sieg ist der Tod, wenn du für den Berg stirbst, wenn du dich für den Schnee opferst, damit du selbst zu Schnee wirst. Dann fällst du vom Himmel, dann bist du selbst der Pulverschnee, der Tiefschnee, und du spürst, wie die Ski tief in dich eintauchen, ganz tief, und je tiefer sie tauchen, desto mehr fliegst du und wirst unendlich, unsterblich.«
    Huller nahm den schweren, feuchten schwarzen Handschuh von dem Mund des Jungen, fixierte seine Skibrille, bekreuzigte sich und schob an, bis er hinter der Kuppe nicht mehr zu sehen war.

12
    Wie lange sollte er noch diesen Skikursen hinterherfahren? »Doch hege ich vergebens trügerische Träume«, drängte sich die Stimme in Andrejs Kopf. Er konnte sich spalten, er führte ein Selbstgespräch und im Hintergrund repetierte er Verse, seine Lieblingsverse, die er wie Mantras wiederholte, wie Perlen durch seine Gedankenfinger gleiten ließ. Wie hatte Vladimir sich das vorgestellt? »Es sträubt sich mein Verstand, zur Hoffnung nicht bereit.« Sollte er sich den Jungen in der Toilette schnappen, ihm beim Pinkeln helfen, die Skihose ausziehen, den klemmenden Reißverschluss aufreißen und ihn dann … Ja, was dann? »Wie – nichts?! Und die Idee? Der Liebe erstes Beben?« Er konnte ihn ja nicht auffressen oder in Stücke zersägen, in Plastiktüten verteilen und dann das Puzzle zu Hause im Kinderzimmer der Zwillinge wieder zusammensetzen und dem Kleinen mit seinem Wodkaatem das Leben zurückhauchen und den Motor des Hoppelhasen in den Arsch stecken, damit keiner merkte, dass er trotzdem mausetot war. »Wie furchtbar … Wieder schau ich traurig auf das Leben.«
    Entführen, kein Problem. »In der Einöde, im Dunkel der Verbannung zogen sich still meine Tage hin.« Wagentür auf, rein in den Wagen, Gas geben. »Ohne Gottheit, ohne Inspiration, ohne Tränen.« Ins Haus einbrechen, Chloroform, betäuben, raustragen, »ohne Liebe«, wegfahren.
    Aber im Skigebiet? Einfach den zappelnden Jungen unter den Arm klemmen? »Verlierst du den Verstand, so bist du schrecklich wie die Pest, man setzt dich dort fest; das Tier. Und hänselt dich. Das Tier.« Den Skilehrer auf Russisch und gebrochenem Deutsch

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