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Seine Zeit zu sterben (German Edition)

Seine Zeit zu sterben (German Edition)

Titel: Seine Zeit zu sterben (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert Ostermaier
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aufstehen, Skifahren, aufstehen Schatz, Skikurs, Igor muss zum Skikurs, sie schlief doch erst in der Früh und dann rüttelten sie sie wach, rüttelten den Schlaf aus ihr, der sie doch erst gefunden hatte, nachdem er die ganze Nacht durch die Betten, die Täler, die Straßen geirrt war.
    Aber der schlimmste Traum war in den letzten Nächten gekommen, als sie wusste, dass sie hierherfahren würde. Sie hatte geträumt, dass Christoph, während sie unter der Dusche steht, aus Zufall den Brief ihres Lovers entdeckt, dieses romantischen Spinners, er ist viel jünger, er liest ihn, er schreit durch das Prasseln des Wassers, er bringe Igor allein in den Skikurs, sie könne sich Zeit lassen, leg dich noch mal hin, wir treffen uns mittags auf der Hütte. Er ist sonst nie so, will keine Sekunde Gemeinsamkeit freiwillig aufgeben. Dann fährt er mit Igor los, aber sie gehen nicht in den Skikurs, sie fahren in den Wald, tief in den Wald, in den Zauberwald, sie fahren immer durch den Zauberwald, ein neuer Zauberwald, sagt er, wir fahren in den Wald des Zauberers, und dann drückt er das Gesicht des Kleinen in den Schnee, bis er erstickt, nimmt ihn in den Arm und vergräbt ihn unter dem Schnee. Und trifft sie im Sonnbühel, sie weiß von nichts, der Skikurs hat nur seine Nummer, er lächelt, er ist gut gelaunt, ein Anflug Melancholie hinter seinem Lachen, und dann sagt er, er habe eine neue Piste entdeckt, und dann sind sie allein und er geht an sein Handy und er sagt, Igor ist weg, Igor ist verschwunden, was ist mit Igor passiert, und sie stirbt vor Angst, sie will weg, aber er schlägt sie, nimmt ihr die Skier, zieht sie aus, lässt sie nackt zurück, fährt los und sie hört fern im Wald einen Schuss, er hat sich erschossen, und es wird schwarz, die Nacht kommt und sie schreit, sie friert, sie erfriert, Igor, sie läuft, sie stürzt, sie spürt die Kälte nicht mehr, sie sieht nichts mehr, bis sie fällt, fällt, fällt.
    Dann wacht sie auf. Sie hatte diesen Traum schon zwei Mal. Sie lief sofort in Igors Zimmer, aber der lag schlafend in Christophs Arm, der heute früh zu ihm geflüchtet war, um bei ihm zu schlafen. Sie hat sich fest vorgenommen, wieder zu ihrem Therapeuten zu gehen.
    Gleich hatte Christoph sie eingeholt, wie ein Rugbyspieler drückte er mit seinen Ellbogen alle zur Seite und drängelte sich im letzten Moment neben sie in den Sessellift. Er hatte die Abkürzung genommen, war direkt den Steilhang hinunter zum Ochsalmlift, den Poserhang, er war in Rückenlage geraten und es hätte ihn fast zerlegt, er wäre mit einem Salto mortale in die paar Leute vor den Schranken geflogen, vor allen auf der Schnauze gelandet. Er hatte Glück gehabt, im letzten Moment die Kontrolle über den Ski zurückgewonnen, ein Reflex. Er war gut in Reflexen, seine Reflexe waren noch schnell genug für sein zu schnelles Fahren.
    »Das wird heute ein genialer Skitag, du wirst sehen, es ist überhaupt nichts los, die sind alle bei der Streif, die Pisten sind wie leergefegt! Du siehst, wir sind schon wieder alleine im Lift!«, er rutschte um einen Platz näher zu ihr, sodass die Bank Seitenlage bekam und schräg in der Luft hing. »Wir könnten die 56 nach Aschau fahren. Das muss ein Traum heute sein!«
    »Du musst Igor abholen, hast du das vergessen? Ich treffe Petra, was du aber sicher auch schon wieder vergessen hast.«
    »Dann komm ich mit Igor nach«, Christoph wollte auf ihren vorwurfsvollen Ton nicht eingehen, nicht heute, nicht bei diesem Wetter, diesem Leuchten, die Luft, die schneidende Kälte befeuerte ihn.
    »Und was soll er im Sonnbühel? Harry Potter futtern und sich dann zur Skikanone zaubern. Er könnte dich wegzaubern. Er hat schon gegessen. Er wird müde sein oder er mag sich das Rennen anschauen oder die Buden da unten oder Fußball oder was weiß ich. Auf jeden Fall weiß ich, dass ich ihn, dass ich euch beide nicht im Sonnbühel sehen will. Du hast doch selbst gesagt, was es für ein Wahnsinnstag zum Skifahren wird. Da brauche ich kein müdes, heulendes Kind, das vor schwarzen Abfahrten Angst wie vorm schwarzen Mann hat und dass ich dann die Ziehwege ziehen darf, weil du mal wieder schon voraus gefahren bist. Nein, heute nicht, heute ist mein Tag, das hatten wir ausgemacht. Ich brauch das. Schatz, wir fahren jetzt, wo du willst. Aber dann gönn mir bitte eine kleine Familienauszeit«, sie legte ihre Hand im Fäustling auf seinen Schenkel, »abends bin ich dann wieder eure brave Mami. Aber heute möchte ich zumindest einen

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