Seine Zeit zu sterben (German Edition)
bestellen, wie obszön, regen sich die einen auf, Perverse, brüllen die anderen und hoffen, ihre Aggression loszuwerden in so einem feisten Gesicht, einmal den Skistock in so einen Silikonbusen zu stechen, einmal diese gespritzten Lippen platt drücken, einmal diesem ganzen Geldgeschwür die gierigen Hälse umdrehen.
»Im Paradies bricht Panik aus«, lachte er laut in seine Maske.
»Was meinst du?«, der kleine Junge fror, er schlug die kalten Hände auf seinen Schultern überkreuz.
»Nichts. Ich habe gesagt, ich bin noch immer der Schnellste, denen fahre ich noch im Traum davon.« Jede Nacht im Traum war Huller auf der Streif, strampelte die Decke ab, navigierte sich mit seinen Schlangenhänden durch den Kurs, bevor er sich aus dem Starthaus katapultierte mit einem Schrei, der ihn aufwachen ließ. Noch halb im Sprung, in seine nackte Haut wie in einen Rennanzug gepresst, realisierten seine Augen in Zeitlupe, dass er an der Bettkante lag, und funkten Entwarnung, während sein Körper noch durch die Luft schoss, die Oberschenkel gegen die Brust gedrückt, die Zehen in die weiße Bettdecke gekrallt. Wenn er aus seinem Albtraum stürzte, war ihm, als läge er auf einer Eisplatte hingestreckt und das Adrenalin pumpte Hitze durch seine Venen.
»Du musst stärker sein als die Kälte«, nahm er den Jungen in den Arm, »die Kälte ist ein Tor, das du hinter dir lässt. Die Kälte ist nur in deinem Kopf, nicht in deinen Fingern oder deinen Füßen. Früher sind wir nackt Ski gefahren, nachts. Lalelu, nur der Mond schaut zu. Ein besseres Training gibt’s nicht. Wenn du stürzt, erfrierst du, aber erst verbrennst du, weil das Eis dir alles aufschürft, deine Haut planiert für den Schmerz, der heiß und dann kalt ist. Wenn es dich zerlegt, wird dein Herz ein Schneeball, den du dir aus der Brust reißen magst. Du musst dich blau frieren, bis du die Farbe des Mondlichts hast, bis du dazugehörst zum Schnee, zum Himmel, zu den Bäumen, den Zweigen, den Tieren. Du bekommst ein Fell, das keiner sieht, nur die, die es auch haben. Wir sind wie ein Wolfsrudel, jeder ist einsam, aber wir gehören zusammen, verstehst du. Das Rennen fahren ist ein Gelübde. Es ist wie in den Märchen, du verkaufst dem Teufel dein Herz. Da, unter dem Eis, da hat er all unsere Herzen vergraben und da rasen wir drüber, weil wir eigentlich hinunter wollen, unter das Eis, und sie uns wieder holen. Da, schau, ganz rot blinkt es, da unten im Zielraum liegt meines. Der Teufel schenkt dir Siege, aber nur der Teufel siegt, der gewinnt jeden Weltcup. Der hat einen Schlüssel für dein Schlüsselbein und dann schleicht er sich rein und fährt mit. Und wenn du einen Fehler machst, geht ein eisiger Wind durch deine Adern, weil er pfeift, der Teufel, sei kein Feigling, was bremst du ab, geh in die Knie, geh volles Risiko, auch wenn du nichts mehr spürst, wenn deine Schenkel taub vor Schmerz sind, wenn deine Muskeln wie Feuer brennen, deine Knochen vor Ermüdung brechen, deine Sehnen porös werden wie Papier in der Hand, bleib unten, beug dich nach vorn, küss beim Fahren fast den Boden, sei kein Feigling, Augen zu und runter. Und wenn du gewonnen hast, kommst du in Teufels Küche. Da ist es schön warm, denkst du, aber da friert’s dich erst wirklich. Weil dein Schutzengel, der sich wie ein Rückenprotektor an dich geschnallt hat, Brandblasen auf den Lippen hat und seine Flügel als Asche von den Schulterblättern fallen, und er mit seinen nackten Schultern aussieht wie ein Brathendl am Grill, wenn sie ihn nicht gleich in eine Bierdose stopfen und rupfen.
Aber du bist der Sieger und das wolltest du ja. Und alle wollen jetzt was von dir, aber du weißt noch gar nicht, was du von ihnen willst, außer ein Glas Wasser, weil du so Durst hast, weil deine Kehle so trocken ist, aber sie haben nur Champagner, Champagner ist das Skiwasser der Sieger, das Vordudlergeblubbere in deinem Kopf und deinem Bauch. Einen Hunger bekommst du, Berge könntest du essen, aber du bekommst nur Häppchen, musst Austern schlürfen und sie schlürfen dich wie eine Auster, in der sie auf Medaillen wie auf Perlen hoffen. Die Auster stirbt an ihrer Perle, und du stirbst an deiner Medaille, an deinen Siegen, weil sie des Teufels sind, weil du sie am Ende zum Teufel wünschst. Denn irgendwann kannst du nicht mehr, dann bist du ein Hundertstel zu langsam, dann zwei, dann eine halbe Sekunde, dann eine ganze, eine ganze Sekunde. Sag mal laut 21.«
Der Junge war ganz verstört, zitterte,
Weitere Kostenlose Bücher