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Seine Zeit zu sterben (German Edition)

Seine Zeit zu sterben (German Edition)

Titel: Seine Zeit zu sterben (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert Ostermaier
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nicht kennenlernen wollte. »Da, der Svindal hat es auch versaut! Und kein Schweizer, alle versagt! Zwei Österreicher vorne!«
    Joseph drängte sich zwischen ihn und Vladimir, der jetzt auf der Terrasse stand und hinüberblickte, dann aber doch den Screen bevorzugte.
    »Der Paris ist ein Guter«, warf Joseph in den Raum, den er nicht Hohlbäumler überlassen wollte.
    Und der junge Südtiroler gab ihm recht. Nach der Hälfte der Strecke lag er sogar leicht vorne.
    »Die Traverse. Optimal!«, euphorisierte sich Joseph, während Hohlbäumler auf einen Sturz hoffte, dass es den Italiener ordentlich zerlegt, dass er beim letzten Sprung die Kontrolle verliert und ins Aus saust, in die Netze katapultiert wird, dass sie ihn mit dem Helikopter abholen.
    »Was für eine Fahrt! Fabelzeit! Keinen Fehler! Den holt keiner mehr ein! Mit dem hat keiner gerechnet«, grinste Joseph und meinte außer ihm selbst. Er, der im Erfolg leiser wurde, fast lautlos, dort wo andere an Lautstärke gewannen, aufdrehten, sich zurücknahm, dort kostete er still den Triumph aus wie ein Gentleman und die Fiktion eines fairen Sportsman.
    »Da können Sie schon mal mit dem Gondellackieren anfangen«, musste er dann doch loswerden.
    Der überraschende Verlauf des Rennens hatte die Laune der Gäste ruiniert, sofern sie Einheimische wie Hohlbäumler oder Wahl-Österreicher oder gar Wiener waren. Aber jetzt gab es noch eine letzte Chance.
    »Der Hannes, der Reichelt, Hannes, Hannes go, go, der Hannes macht’s«, exaltierte sich Hohlbäumler, und seine Hirschhornknöpfe am Revers liefen so puterrot an wie sein Gesicht, das der Champagner und die Kaviarbrötchen zu einem runden Ballon aufgeblasen hatten, in den man eines der Kokainröhrchen stechen mochte, die auf der Toilette unter dem Handtuchstapel lagen.
    Reichelt beginnt ganz stark.
    »Da, 37 Hundertstel, er ist 37 Hundertstel schneller da oben«, johlten die Kitzbühler in der Hoffnung, alle mit in den Zielhang hinunterzureißen.
    »Aber der Vorsprung schmilzt und schmilzt«, wandte Joseph ein und konnte seine süffisante Bosheit gar nicht erklären. Im Grunde interessierte er sich auch gar nicht für das Rennen, nicht aus sportlichen Gründen, nicht aus nationalem Selbstwertgefühl oder Stolz. Die Streif war ein Standortvorteil, ein Alleinstellungsmerkmal, Disneyland, der umgestürzte Eiffelturm.
    »Das wird ganz eng«, wurde Hohlbäumler immer leiser, kleinlauter und schielte zu Vladimir, der permanent sein Handy auf Nachrichten überprüfte und kein Auge für die Piste hatte, keine Augen für die Schenkel und ihre steilen Abgründe und Routen abseits der Piste.
    »Die Traverse läuft nicht optimal«, genoss es Joseph jetzt fast, Hohlbäumler in die Knie zu zwingen.
    »Doch, doch, er schafft es, er schafft es, Hannes, Hannes!«, gab Hohlbäumler alles, als wäre es jetzt ein Rennen zwischen ihm und Joseph.
    »Es wird ihm im Zielhang deutlich an Geschwindigkeit fehlen«, drehte sich Joseph siegesgewiss ab und zeigte Hohlbäumler den Rücken, ignorierte demonstrativ den Zieleinlauf Reichelts. Unendliche Sekunden lang war es vollkommen still, in der Stadt, der Wohnung, in den Köpfen.
    »Dritter! Dritter!«, sprang Hohlbäumler in die Luft, verlor die Kontrolle, »Dritter!«
    Ein Jubel brandete durch die Stadt, aus dem Zielraum bis zur Terrasse hinauf. »Dritter?«, fragte Joseph trocken, ohne eine Antwort zu erwarten, »eine Blamage. Österreich hat nicht nur ein Toiletten-, sondern auch ein Abfahrtsproblem«, und wandte sich dem Oligarchen zu: »Sagen Sie, Boris, wo gehen Sie in London am liebsten zum Essen?«
    »Der Mayer kommt noch, der Matthias, der war Zweiter gestern, im Training. Kein Abfahrtsspezialist, aber …«, Hohlbäumler merkte, dass ihm keiner zuhörte und Vladimir in einem Zimmer verschwand.
    Auf der Terrasse hatte der aus Moskau eingeflogene Koch und Grillmeister, der lässig in seinen Hausschlappen in der Kälte stand, den Grill angeworfen und schmiss ein Steak nach dem anderen auf den Rost. Er grillte für mindestens fünfzig Gäste, Flank-Steaks, Rib-Eyes, Porterhouse, Lammfilets, Hummer, Garnelen, Hühnchen aus Frankreich, Wagyu-Beef aus Japan neben Würsteln. Er grillte und grillte, aber niemand aß, alle waren satt vom Kaviar, vom Borschtsch, von den Vorspeisen, die niemand für Vorspeisen gehalten hatte. Dem Koch war das gleichgültig, stoisch choreografierte er sein Ballett auf dem Rost, und einer der unsichtbaren Bediensteten holte das Grillgut ab und verstaute es in der

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