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Seine Zeit zu sterben (German Edition)

Seine Zeit zu sterben (German Edition)

Titel: Seine Zeit zu sterben (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert Ostermaier
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wäre, eine dieser unzähligen Aufmerksamkeiten, für die keiner mehr aufmerkte, weil sie selbstverständlich geworden waren in diesem Haus mit seiner üppigen Gastfreundschaft, die einen an den Busen drückte oder zur Brust nahm, für die man das Glas hob, hinunterstürzte, bevor man es über den Rücken warf, was keiner sich traute, aber in Gedanken tat, ein Scherbenmeer. Es gab wieder von allem im Überfluss, auf dem Tisch eine Kriegsflotte Kaviar-Canapés, Kaviarkübel, Kaviarkokotten auf der Couch, alle blond, alle kurzberockt, nur die Netzmuster der Strümpfe unterschied sie, Hummerschwänze aus allen Weltmeeren, tote Hosen, Schnecken, Froschschenkel, Magersüchtige und Fettpolster, Champagnerflöten und Stehgeiger, Tatar und Tartaren, Tattoos und Tabus, Titeltunten und Tittentorpedos, Panzerkreuzer und Kreuzersonaten, Lenin in Platin und Stalin in Stahl, Rasputin und Putinraster, Flüchtlinge und Flüchtige, Wodka und Wotan, Traurigkeit und Trüffel, Weißbrot und Wasser, Ikonen und Ichdrohnen, Grills und Grillen. Alles an dieser Wohnung war in Luxus getaucht, es erfüllte alle Klischees ohne Klischee zu sein, denn immer wieder stach etwas heraus, das atemberaubend war, ein Bild, eine Truhe, ein Stuhl, eine Handschrift, ein Buchrücken neben bloßer Haut. Wer seine Vorurteile pflegen wollte, konnte sie pflegen, wer genau schaute, schaute tiefer, tief in Vladimirs Seele hinein, in einen Schneesturm, der nicht enden wollte.
    War die Wohnung vom Schnitt, von der Größe, von der Raffinesse oder Vulgarität her wie andere Wohnungen, so war die Terrasse ein Schock an Schönheit für jeden, der sie das erste Mal sah und betrat. Zwei Kirchen auf der Höhe, deren Dächer und dahinter die Streif, der Zielhang, die Schräge, die Kitzbühel weltberühmt machte. Auf dem Geländer war ein leinwandgroßes, randloses Vergrößerungsglas angebracht, das die Skifahrer auf die Terrasse sog, sie auf einen zurasen ließ. Innen gab es naturgemäß auch einen Screen, der über die ganze Wand ging, und die Fernsehbilder. Aber ohne Ton, denn Vladimir ließ Arvo Pärt hören, die Musik gewordene Melancholie, die sakrale Schwermut. Er entschuldigte sich, er habe ganz vergessen, die Musik zu wechseln, den Ton anzuschalten, sicherlich möchte man den Live-Kommentar hören. Aber die Fugen Pärts waren nicht mehr zu übertönen vom schrillen Lärm der Zielraumschickeria und Meute, nicht vom Kratzen der Kurven, die Musik hatte alles in einen Totentanz verwandelt und Vladimir bat zum Tanz mit einem Lächeln und einer Flasche Ruinart Rosé, blutgetränkt, mit deren Perlen die Notenhälse nicht brechen, sondern nur ersäuft wurden.
    Die ersten Läufer waren, vom Gros der Gäste mehr geduldet als bemerkt oder verfolgt, schon ins Ziel gejagt. Plötzlich geht ein Raunen durch den Raum, fast wie eine Erleichterung. Peter Fill wirbelt es durch die Luft, der Italiener ist, nachdem er auf Bestzeitkurs war, schwer gestürzt, er kam nach dem Karussell zu nah ans Netz. Ein Salto Mortale, aber er kommt auf einem Ski auf und fängt so den Sturz akrobatisch ab. Die Mädchen kreischen, endlich hat es einen zerlegt, aber da, er steht schon wieder, Männer, echte Männer, nicht solche Brutalosanftblüter wie Boris, der Londoner Oligarch, der in seiner übertriebenen Zärtlichkeit und seinen weichen Worten wirkt, als hätte er schon Hunderte mit seinen Stimmbändern erdrosselt. Er tut so, als könnte er keiner Seele etwas zuleide tun, wenn es nur eine tote Seele ist. Auf einmal können sich die Gäste gar nicht mehr beruhigen, nach dem schönen Sturz tritt jetzt in der Unterbrechung der Terminator auf: Arnold Schwarzenegger nimmt seinen Platz auf der VIP -Tribüne ein. Und dort sind auch Bernie Ecclestone und der Weltraumspringer Felix Baumgartner.
    Unterdessen war Roland Baumann auf der Strecke, ist gut dabei, aber verpatzt die Traverse, er ist viel zu weit unten und muss fast wieder bergauf fahren.
    »Die Traverse duldet keinen Fehler«, profiliert sich Hohlbäumler als Experte, »jetzt, der Kröll, der Kröll machts! Der Kröll holt uns die Streif!«
    Nach dem Gleitstück geht Kröll in Führung, verliert dann aber im unteren Teil immer mehr.
    »Das holt er in der Traverse wieder raus«, versucht sich Hohlbäumler zu entspannen, hat ihn aber längst aufgegeben. »Was für ein Ritt! 12 Hundertstel nur. Zwei Österreicher sind vorne!«
    Hohlbäumler schien sich als Einziger wirklich für das Rennen zu begeistern, er und die Wiener, die er nicht kannte und

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