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Seine Zeit zu sterben (German Edition)

Seine Zeit zu sterben (German Edition)

Titel: Seine Zeit zu sterben (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert Ostermaier
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keiner brauchte und falls doch, nur mit Schnaps zu verkraften war. Sie wollten ihre Heimat fliehen, aber es blieb als Fluchtort die Atemlosigkeit der Gegenwart, sie blieben ihr ein Leben lang und bis in den Tod hinein verhaftet.
    Auch Huller war hier aufgewachsen, aber schon als Kind hatte ihn seine Mutter nach Kitzbühel entführt, weg von dem einsilbigen Vater, der immer mehr verstummt war und den Sohn mit in die Wälder nahm, aus denen er verstört zurückkam wie ein Reh im Maul des Wolfs. Alle hatten weggesehen, und sie hatten gedacht, wenn keiner ihn mehr ansah, müsste man erst recht kein Wort mehr darüber verlieren, dass Sohn und Frau am Sonntag ihre blauen Flecken und Blutergüsse verbargen beim Vaterunser. Joseph hatte als Einziger den Mut gehabt, ihm ins Gesicht zu sagen, was mit ihm passieren würde, würde er sie noch ein einziges Mal berühren. Dann half er ihnen zu gehen und ging selbst mit. Nicht über Nacht, nein, er verabschiedete sich am helllichten Tag. Er würde studieren, er wollte Anwalt werden. Einer, der das Recht hatte, wo andere die Muskeln hatten. Einer, der in aller Ruhe jeder Gewalt ihre Energie raubte und Schläge mit Worten parierte, geduldig wartend auf den entscheidenden Moment, da er alles mit einer überraschenden Wendung drehen konnte.
    Joseph hatte diesen Rhythmus, der ihn von allen anderen unterschied, wie ein stoischer Wanderer, der mit dem ersten Schritt weiß, wann er am Ziel ist und wie er seine Kraft einzuteilen hat, um alle Davongeeilten hinter sich zu lassen. Was ihm zu seinem Nenn-Adel verhalf, zum Lord machte; hatte ein Auge, einen Blick, bevor er eine Meinung, ein Urteil äußerte. Sein Charme war wie eine Daunenjacke, wenn die Nächte kälter wurden. Hatte Scotty alles in seinem iPhone, hatte es Lord in seinen Schläfen, die nahezu immer vibrierten wie englische Züge, die noch immer versuchen, das neunzehnte Jahrhundert zu verlassen. Er hatte einfach alles im Kopf. Als Jurist war er der Anwalt schlechthin. Nichts, was nicht über seinen Tisch ging. Manche nannten ihn sogar den Paten von Kitzbühel und hätten ihm sicher den Siegelring geküsst, wenn er Leute respektiert hätte, die vor ihm auf die Knie sinken. Er war ein Meisterstratege. Man hätte ihm zugetraut, mit den Bergen Schach zu spielen und sie dabei zu bewegen. Er wusste alles, aber auch von nichts, wenn es nötig war. Seine Kanzlei war das Nadelöhr, durch das die Reichen und Russen wollten, und vor dem sie wie Kamele stehen blieben, wenn sie sich vor ihm aufspielten.
    Meistens lächelte er, doch sein Lächeln unterschied sich von seinem Lachen. Wenn sich seine Augen scharf stellten, verging es den meisten. Auch Huller, als er Lord gewinnen wollte, über fadenscheinige Tricks den Sieg einzufahren, den er auf der Piste verschenkt hatte.
    Ödön warf noch einmal einen prüfenden Blick zurück auf das Loch, das er in den Speichersee gesägt hat, den See, über den im Sommer Hansi Hinterseer wie Jesus geschwebt war auf einem Floß, von unsichtbaren Fäden gezogen. Der blonde Erlöser, auf dessen Wiederkehr sie warteten, den Streifsieger und Sänger, die Auferstehung versprechend mit ausgebreiteten Armen. Würde er über das dünne Eis gehen, bräche er ein. Die ganze Stadt, dachte Ödön, ist auf dünnem Eis gebaut. Was war das? Was für ein Geräusch? Er brauchte keine Minute bis zur Kapelle. Sollte er lieber hier warten? Nein, in der Kapelle wird ihn keiner sehen, dachte er, nicht jetzt, nicht später, dort könnte er bis zur Dunkelheit ausharren. Außerdem drehte das Wetter, der Himmel führt etwas im Schilde, sagte er sich. Er will mich täuschen, ich spüre es, die Narbe schmerzt, schmerzt so, als würde das Wetter in Kürze drehen. Ein Sturm zieht auf, war sich Ödön sicher. Hoffentlich käme er rechtzeitig.

16
    Bonnie stand nur ein paar Armlängen vom Terminator entfernt. Alles war nach Plan gelaufen. Sie blickte auf Schwarzeneggers Hinterkopf. Sie war schwanger. Bonnie konnte es nicht fassen. Das Phantom. Sie jagte einem Phantom nach. Sie war immer schlecht im Rechnen gewesen, erhöhte Temperatur, Temperaturtabellen, Fieber, Quadratwurzel, Exponentialfunktion, Statistik, Wahrscheinlichkeitsrechnung. Wie hoch war die Wahrscheinlichkeit, dass sie ihre Waffe … Sie erinnerte sich an den Fleck in ihrer Wohnung. Sie zählte zurück, zehn, neun, es war eine heiße Zeit gewesen, sie hatte keinen Unterschied gemacht. Sie hatte alle Nummern nach der Nummer weggeschmissen, keine zweite Nacht war ihre Devise

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