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Seine Zeit zu sterben (German Edition)

Seine Zeit zu sterben (German Edition)

Titel: Seine Zeit zu sterben (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert Ostermaier
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Diesen Barbaren! Erst waren sie nur Kommunisten, aber jetzt sind sie auch noch Kapitalisten und tun so, als gehöre ihnen alles, weil sie so ungehörig sind, so unersättlich, als könnten sie jeden Einwand mit Geld oder Gewalt stopfen, jedes Loch mit einem Loch im Kopf. Was der Kommunismus nicht geschafft, wovon Trotzki nur geträumt hatte, das hatten sie jetzt erreicht, die Weltherrschaft, die Internationale Rubelrüpelrevolution. Sie waren überall und drehten alles um, walzten alles nieder, kauften alles auf, und wer sich nicht kaufen ließ, den kauften sie sich. Ihre Säuberungen verschmutzten alles, sie waren nicht länger Proletarier, sondern Petrolproleten, Gaspromgenossen.
    Joseph hörte nicht mehr hin, mit welchen Russen-Vorurteilen ihn der Immobilienmakler, der ihn auf der Treppe eingeholt hatte, bewarf. Die Hirschhornknöpfe auf seinem pinkfarbenen Trachtensakko waren hirschkopfgroß, er trug Phantasie-Trachtensakkos wie Göring Uniformen, alles an ihnen war schrill, schreiend schrill, und so geschmacklos, wie es kein Russe je zustande gebracht hätte, selbst wenn er sich Chanel mit Diamanten auf die Stirn gepierct hätte oder seinen Cockring um den Hals baumeln ließe. Und was alles noch viel schlimmer und unerträglich machte war, dass Hohlbäumler nichts als eine billige Kopie war von Hornfester, dem Kaiser unter den Immobilienkönigsmachern, der seine leuchtenden Trachten, so sagte es das Gerücht, sogar selbst entwarf. Hornfester und seine Frau waren ein ebenso schrilles wie bodenständiges Paar. Sie waren in jeder Hinsicht aufsehenerregend, waren in ihrer Originalität ironisch und in ihrer Ironie originell. Sie passten in keine Schublade und widerlegten auf den ersten Satz und spätestens den zweiten Blick jedes Vorurteil, wenn sie jemanden kennenlernten. Sie waren sympathischer Glamour. Aber vor allem: Sie waren nicht kopierbar. Hohlbäumler versuchte es trotzdem, erreichte sie nie, vielleicht kam daher sein Frust, der ihn in den Hass und seine Hasstiraden trieb, wie jetzt gegen Vladimir.
    Dabei lebte Hohlbäumler von Vladimir, er war seine Kitzbühler Hand, wie immer man das interpretieren mochte, wo und in was diese Hand mitspielte und in welchen Taschen sie war, welche Hände sie schüttelte oder in sie einschlug. Vladimir hatte einen Plan und Hohlbäumler die Pläne dazu, für ihn war nur ein Handstrich nötig, auf einem Scheck, einer Überweisung. Hohlbäumler baute mit Vladimirs Geld, baute aus, baute um, baute an, baute neu, riss ab, riss ein, der Russ, der kommt, der Russ, der kommt, ob er aber über oder aber über unter …, wie es im Lied hieß, egal, er kam, er war längst gekommen. Vladimir hatte seine Kunden, Hohlbäumler war sein Kundschafter, sein Behördenflaneur, der jeden Makel wegmakelte. Vladimir hatte die Scheine und Hohlbäumler war für den schönen Schein zuständig, er machte aus Naturschutzgebieten Oligarchenzoos, aus Russen Österreicher und aus Österreichern Oligarchen, seine Gamsen scheißen Mozartkugeln und die deutschen Esel das Geld, um das er sie beschiss, weil sie wie die Russen nicht glücklich waren, wenn sie nicht zu viel zahlen mussten. Nur wenn die Summen astronomisch waren, konnten sie nach den Sternen greifen und sie auf den Boden holen und mit Füßen treten.
    Hohlbäumler gab ihnen das Überheblichkeitsgefühl, das sie brauchten, um nicht zu merken, dass er sie in Wahrheit erniedrigte und nicht sie ihn, wie sie dachten. Sie lachten ihn aus, begriffen nicht, wie lächerlich sie selbst waren, wie er den Clown spielte, der sie waren mit ihren Pappnasen, die ihnen der Suff ins Gesicht steckte, mit ihren Bäuchen, die nie genug bekamen. Hohlbäumler mochte die Russen, denn sie waren, was sie waren, sie wollten nicht auch noch erlesen sein, Künstler, Intellektuelle oder egal wie wichtig. Sie hatten einfach das Geld, das reichte ihnen. Sie waren reicher und mussten deshalb auch nicht noch reicher an sonst was sein. Alles und jeder war käuflich für sie, es gab eine klare Währung. Was teuer war, war gut, und je teurer es die anderen zu stehen kam, desto wertvoller war es ihnen. Das Wort »unbezahlbar« kannten sie nur aus der Werbung für ihre Kreditkarten.
    Hohlbäumler sprach ihre Sprache, ohne ein Wort Russisch zu verstehen oder zu sprechen. Er fühlte sich Joseph Grünsee überlegen, denn er teilte weder dessen Skrupel noch dessen Weltbild, das gezeichnet war von einer Sehnsucht nach Stil, nach einer Zivilisation, die dieses Wort verdiente und es sich

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