Seine Zeit zu sterben (German Edition)
Hals, meinen Hals, nimm deine Hände!« Andrej nahm das Kissen, das weiße Daunenkissen, legte es auf ihr Gesicht und schaute auf den Schnee vor dem Fenster und legte sich mit der Brust auf das Kissen, mit seiner bleiernen Brust, und ihm war, als ginge ihr Atem durch ihn hindurch, als stiege er in Luftblasen aus seinem Rücken und hinge an der Decke. Sie drückte ihn fester an sich, während er heftiger mit seiner Hüfte zustieß, während seine Brust, sein Kopf ganz ruhig blieben, seelenruhig, seelenruhig sein Blick auf das Unausweichliche, den wütenden Sturm, der gegen die Scheibe schlug, ihre Beine strampelten, sie zuckte unter ihm, kam sie? Oder kam er, der schwarze Mann?
Was macht ein Schmetterling im Schnee, fragte Andrej sich? Wenn es plötzlich im April zu schneien beginnt? Der Strom war ausgefallen, die Kerze ausgeblasen, auf dem Bildschirm nur weißes Rauschen, Schnee, überall Schnee, ein weißer Schimmel, dachte Andrej, und lachte laut auf.
6
Ich bin ein Krokodil, ein Schneekrokodil, wenn ich weine, weine ich Schneeflocken, große, schwere Schneeflocken, die mir kalt über die Wangen laufen. Aber ich weine nicht, der Himmel weint für mich, ich muss nicht weinen, ein Schneekrokodil ist so stark wie ein Schneeleopard. Doch ein Schneeleopard kann springen, kann aus dem Stand springen, über die Schlucht springen, über alles hinwegspringen.
Ich wäre gern ein Schneeleopard oder ein Schneetiger, ein Säbelzahntiger. Dann könnte ich mit meinen gefletschten Säbelzähnen allen Angst machen. Du böser Mann, gleich ist dir ganz bang, wenn ich dich fang, mein Maul aufreiß und dich dann beiß. Ich fresse alles, ich fresse die ganze Welt auf, fresse allen Schnee weg, dann ist die Wiese grün und der Himmel ist blau, aber mein Bauch ganz voll Schnee. Und ich hab Bauchweh, ganz schlimmes Bauchweh von dem vielen Schnee, ganz kalt ist mein Bauch, so viel Schnee kann ich gar nicht schlucken, aber ich hatte einen solchen Durst, so schrecklichen Durst, und Hunger.
Ein Schneekrokodil frisst Gummibärchen, aber die Gummibärchen haben sich versteckt, sie sind davongelaufen, die Gummibärchen haben sich als Eisbären verkleidet, deshalb sehe ich sie nicht und kann nicht nach ihnen schnappen. Ich esse keine Süßigkeiten von fremden Männern. Ich habe ganz scharfe Zähne, pass nur auf, und ich bin schnell, so schnell, dass du mir nicht hinterherlaufen kannst, wenn du mich einfangen willst. Der Sturm macht mir keine Angst, Schneekrokodile haben keine Angst, auch nicht vor Darth Vader, ich bin nur ein Krokodil, weil ich ein verwandelter Prinz bin. Aber keiner darf mich küssen, ich mag küssen nicht, ich beiße, meine Zähne sind so scharf wie Vampirzähne. Und wenn ich tot bin, bin ich ein Vampirkrokodil, dann saug ich dir das Blut raus.
Mir ist kalt, aber ich habe eine ganz dicke Haut, eine ganz dicke Krokodilhaut, da kommt nichts durch, das ist so dick, das weiße Leder, meine Haut, wie Mamas Handtasche, wie ihre weiße Lederjacke, nur noch viel dicker. Ich sehe gar nichts mehr, ich will gar nichts sehen, wenn ich nichts sehe, sieht mich keiner, so war es doch früher, dass mich keiner sah, wenn ich die Hand vors Gesicht hielt, jetzt halt ich einfach den Schnee vors Gesicht und keiner sieht mich, und ich muss nichts sehen, aber es ist so kalt, Schneekrokodile jedoch, Igor, die frieren nicht, die setzen sich hin und halten still, die halten ihre Ski fest, die halten ihre Stöcke fest. Bräuchte ich eigentlich nicht noch viel mehr Ski und Stöcke oder Bindungen? Ich möchte in den Schnee tauchen, wie ein Krokodil ins Wasser taucht, und dann tauchen nur die beiden Augen auf, und dann sieht mich keiner, weil ich unter Wasser, weil ich unter dem Schnee bin, weil ich unter den Sturm hindurch tauche, die Bäume sind nur Algen, die Berge Korallen, ich bekomme sogar Luft unter Wasser, unter dem Schnee, ich muss mir nicht mal die Nase zuhalten, ich habe ja meine Maske auf.
Warum bewegt sich nichts mehr? Es ist plötzlich so still. Du hast ja ein Loch da? War das mein Stecken? Nicht böse sein? Aua, nicht mir weh tun, pass auf, sonst schnapp ich zu und dann ist deine Nase ab. Meine Mama kann das Loch stopfen. Schau nur, da blinkt es überall rot, überall rot, und die Sirenen. Ich schrei nicht nach Mama, ein Schneekrokodil ist tapfer, tapfer bis in den Tod. Bis der Tod euch scheidet, mussten Mama und Papa bei der Hochzeit sagen. Ich bekomme immer Angst, wenn Mama sagt, sie lässt sich scheiden, dann denk ich an den Tod, der
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