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Seine Zeit zu sterben (German Edition)

Seine Zeit zu sterben (German Edition)

Titel: Seine Zeit zu sterben (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert Ostermaier
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das perfektioniert haben: nur auf einem Ohr zuzuhören, mit einem Auge zu schlafen, mit halber Zunge zu sprechen, auf halber Geschwindigkeit zu verstehen, zu beruhigen, alles halb so schlimm, Gott verzeiht dir, Gott vergibt dir, glaub an deine bessere Hälfte, Gott kennt all deine Sünden, aber auch die Vergebung der Sünden.
    »Vergibt er den Tod eines Jungen? Eines unschuldigen Jungen? Wer kann Gott vergeben, wenn er ihn sterben lässt? Im Schnee sterben?« Ödön würde diese Worte sagen, er würde ihn fragen, er würde ihm durch die Löcher hindurch Löcher in den Bauch fragen, er würde ihn durchlöchern, mit seinen Fragen zustechen, durch die Gitterlöcher, würde hinter das Gitter fragen: Und Gott? Wer verzeiht ihm? Kann ich ihm verzeihen?
    Plötzlich fragte er sich, ob er überhaupt hier im Beichtstuhl alleine sitzen durfte, ob er den Beichtstuhl hatte betreten dürfen, ohne dass ein Priester auf der anderen Seite saß. Was würde er machen, wenn er nicht kommt? Würde dann Gott auf seinem leeren Platz zu seiner Rechten sitzen und ihm am Ende vergeben, den Spieß umdrehen, den Spieß in seinem Herzen umdrehen, bis seine Widerhaken es ihm in Stücke reißen würden? Was würde, was müsste er sagen, wenn der Priester jetzt erschiene? Ihn grüßen? Grüß Gott! Grüß Gott, Stellvertreter, Platzhalter, Lückenbüßer, Grüß Gott, Herr Priester, Grüß Gott, Vater, erkennst du deinen Sohn, dein Kind, das du verlassen hast, das du allein gelassen hast mit seiner Angst, der Angst bis zur bitteren Wahrheit, dass das Dunkel bleibt, Herr, dass die Finsternis bleibt, Herr, dass es nicht mehr hell wird in meinem Herzen, dass meine Seele eine Raucherseele ist, geteert, die Federn, die sie fliegen ließen, verklebt, verschmutzt, ausgerissen.
    Als er so vor sich hin grübelte und eins wurde mit der Kälte, betrat der Pater den Beichtstuhl und sah ihn zunächst nicht. Oder doch?

5
    »Du bist mein starker schwarzer Mann, sei mein starker schwarzer Mann, erdrück mich, stoß mich, mach mich schwarz, ganz schwarz, ganz schwarz vor meinen Augen, Andrej, Black Beauty.« Andrej sah ein schwarzes Pferd durch die Nacht galoppieren, seine phosphoreszierende Mähne Zeilen durch das Dunkel ziehen, leuchtende Zeichen, er sah den Atem des Tieres, den kalten Atem des Tieres aus den Nüstern gestoßen, als käme der Nebel, als käme die Nacht hinter dem Nebel aus dem Tier, aus seinen fliehenden Flanken, als würden seine Hufe den Schnee kaum berühren. Es wieherte, warf seinen Kopf zur Seite. »Fick mich, fick mich, schwarz, schwarz«, stöhnte Vladimirs Frau unter ihm und er konnte nicht länger an den Hengst denken, nicht an das Tier, das immer schneller lief, der Atem immer schneller ging, die Augen sprangen hervor, wie seine Schnauze den Wind spaltete. Andrej musste an die Kinderserie auf den DVD s denken. Vladimirs Töchter schossen ihm durch den Kopf, wie sie vor dem Fernseher saßen, gebannt von dem Pferd Black Beauty. »Black Beauty, fester, fester!« Andrej lag mit seinem schwarzen Skianzug auf ihr, begrub sie unter sich, betrachtete sie von oben, von ihr waren nur eine blonde Strähne und die roten High Heels zu sehen, ihre nackten Schenkel und Fußfesseln mit Gold- und Brillantkettchen, die ihn umschlangen, festhielten, drückten, ihn in sie hineindrückten, obwohl er durch die Daunenjacke kaum einen Druck spürte, bis ihre Absätze sie aufrissen und sich in seinen Rücken bohrten, »schneller, schneller, küss mich, Geliebter!« Andrej bekam diese Kinderserien nicht mehr aus dem Kopf, er versuchte an ein Gedicht zu denken, aber er dachte an Flipper, an Lassie, sah sich als Pan Tau die Frau seines Chefs ficken, gefangen von ihren Beinen und gefangen vom Schnee und dem Sturm vorm Fenster, der sie ebenso umschlossen hielt, gefangen von der Angst vor allem, der Angst vor Vladimir, bei dem er längst hätte sein müssen.
    Und der Junge, er hatte ihn allein gelassen, er hatte es nicht zu Ende bringen können, erst Vladimir, dann sie, die beiden waren wie die Backen derselben Zange, und sein Schädel, seine Schläfen waren dazwischen, und beide erhöhten den Druck auf ihn, zerquetschten ihm den Schädel, er sah den Jungen im Schnee, zwischen den Bäumen, die Zwillinge, den Delphin, das Pferd, wie es über das Wasser lief, Lassie im Schnee, wie sie nach ihm schnappt, der Collie mit Wolfszähnen und blonden Strähnen, das schwarze Pferd mit roten leuchtenden Hufen. »Hör nicht auf, nicht langsamer werden, Schwarzer, fester, meinen

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