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Seit du tot bist: Thriller (German Edition)

Seit du tot bist: Thriller (German Edition)

Titel: Seit du tot bist: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sophie McKenzie
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Charakterentwicklung auslassen ist zwar das Letzte, was ich im Moment möchte, doch nicht hinzugehen würde bedeuten, dass Sami und die anderen schon wieder einen Ersatz für mich suchen müssen – und letzte Woche Mittwoch hat das Institut den Unterricht schon abgesagt. Also zwinge ich mich aufzustehen.
    Ich bringe den Unterricht hinter mich wie im Schlaf, verlasse mich darauf, dass schon alles gut gehen wird, denn schließlich habe ich genau diese Stunde schon unzählige Male gehalten. Wir beschäftigen uns mit dem Thema Charakterisierung. Ich habe eine Passage aus Vikram Seths Verwandte Stimmen gewählt und bitte die Kursteilnehmer, in Gruppenarbeit die Kerneigenschaften der Hauptfiguren zu identifizieren. Danach lasse ich sie eine Weile lang Biografien für ihre eigenen Figuren schreiben. Die ganze Zeit über denke ich an den Memorystick und frage mich, welche Informationen er wohl enthält.
    Als ich das College verlasse, piept mein Handy. Es ist Lorcan. Datei entschlüsselt. Komm sobald wie möglich.
    Vor Angst dreht sich mir der Magen um. Warum sagt er nicht, was die Datei enthält?
    Ich bin kurz davor, ihn anzurufen, doch dann wird mir klar, dass ich diese Unterhaltung nicht in der Öffentlichkeit führen kann.
    Ich schicke ihm die Nachricht, dass ich in einer halben Stunde bei ihm sein werde. So lange warten zu müssen, ist beinahe unerträglich, und doch wünscht sich ein Teil von mir, diese Wartezeit möge nie enden. Was in aller Welt hat er gefunden? Ausnahmsweise nehme ich nicht den Bus – für heute ist er mir zu langsam –, sondern eile zur nächsten U-Bahn-Station. Ich hasse den Geruch auf dem Bahnsteig, die Enge des Tunnels. Das Rascheln einer Plastiktüte hinter mir lässt mich zusammenfahren, während ich auf die Bahn warte. Ich bilde mir ein, dass ich beobachtet werde, aber als ich über die Schulter sehe, ist dort niemand. Ich versuche, dieses Gefühl abzuschütteln, werde es aber während der ganzen Fahrt nicht los und auch nicht, als ich in Hampstead aussteige, die High Street entlanggehe und schließlich in die ruhige Victorian Terrace einbiege.
    Ich schaue mich wieder um. Da ist niemand zu sehen. Nur ein paar kichernde Schulmädchen in kurzen Röcken, die sich über ein Handy beugen.
    Kurz danach klingle ich an Lorcans Tür. Er hat mir bereits erzählt, dass er sein eigenes Haus für die Dauer seines Engagements in Irland vermietet hat und in einer Mietwohnung lebt – in einem der vielen umgebauten Häuser in dieser Gegend, die aus der viktorianischen Zeit stammen.
    Lorcan blickt ernst drein, als er die Tür öffnet, dreht sich aber sofort um und führt mich wortlos hinein. Ich folge ihm die Treppe hoch zu seiner Wohnung im ersten Stock. Während er in ein hübsch möbliertes Wohnzimmer mit einem weichen Sofa, einem brauen Ledersessel und einem kleinen Glastisch vorausgeht, erhasche ich einen Blick auf cremefarbene Wände und graue Teppiche.
    Neben dem kleinen Glastisch steht ein schlaksiger Teenager. Sein Blick ist auf den großen Fernsehbildschirm in der Ecke gerichtet, wo bei abgestelltem Ton die BBC -Nachrichten laufen.
    Als ich hereinkomme, dreht er sich um und schenkt mir ein schüchternes Lächeln. Er sieht Lorcan nicht sonderlich ähnlich. Sein Teint ist dunkler, sein Gesicht schmaler, und er hat eng stehende braune Augen. Verlegen tritt er von einem Fuß auf den anderen.
    »Geniver, das ist Cal«, sagt Lorcan.
    »Hi.« Ich lächle und deute ein Winken an.
    »Hi«, sagt er und wird rot.
    Armer Junge. Groß und dünn, mit Armen und Beinen, die nicht zu seinem Körper zu passen scheinen, ist er so verlegen, wie auch ich es in diesem Alter war, in dem von einem erwartet wird, dass man sich mit Erwachsenen unterhalten kann, man aber nicht genau weiß, wie.
    Aufgrund unseres Gesprächs im Wagen weiß ich, dass Cal vierzehn ist, doch auf mich wirkt er viel jünger. Er greift nach einem Rucksack und steuert auf die Tür zu.
    »Alles klar?«, fragt Lorcan. »Wir sehen uns dann später.«
    Sie sprechen leise miteinander, als Cal das Zimmer verlässt und auf die Treppe zusteuert. Während sie nach unten gehen, entdecke ich auf dem Tisch Lorcans Laptop. Er ist zugeklappt, aber der Memorystick steckt drin.
    Mit pochendem Herzen gehe ich zum Tisch hinüber und drehe den Laptop zu mir um. Lorcan kommt zurück und stellt sich in meine Nähe, als ich den Deckel hochklappe. Ein kleines Fenster ist geöffnet. Eine RealPlayer-Datei.
    »War das auf dem Memorystick?«, frage ich. »Ein Video?«
    »Ja,

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