Seit du tot bist: Thriller (German Edition)
inzwischen ereignet hat, ist mir das nicht mehr so wichtig. Hen ist jetzt natürlich sehr beschäftigt mit dem neuen Baby, aber auch meine anderen Freunde sind einfach wunderbar und bringen immer wieder ihre eigenen Kinder mit, als Spielkameraden für Ed – so richtig ist er noch nicht aufgetaut, und er kapselt sich ab –, und wenn die Kinder im Bett sind, bleiben sie noch auf ein Glas Wein.
Meine Lehrtätigkeit habe ich komplett an den Nagel gehängt, damit ich für Ed da sein kann. Charlotte West hat ein paarmal angerufen und gefragt, ob sie Privatstunden bekommen könnte, und angedeutet, sie würde Art gerne im Gefängnis besuchen, aber ich habe ihre Anrufe und SMS ignoriert, und irgendwann hat sie’s aufgegeben.
Dank Art habe ich keine finanziellen Probleme. Er hat mir so viel wie möglich überschrieben und stellt sich der von mir beantragten Scheidung nicht in den Weg.
Ich lehne mich am Küchentisch zurück und klappe den Laptop zu. Draußen vor dem Fenster sehe ich Ed. Gerade steckt er seinen Stock in die Erde, um etwas aufzuspießen. Vor lauter Konzentration ist sein Gesicht verzerrt.
Das Leben mit ihm birgt tausendmal mehr Herausforderungen, als ich mir je hätte vorstellen können. Und trotzdem erhält durch ihn nun alles einen Sinn – so, als ob alles aus den Fugen geraten wäre, als ich ihn verlor. Jetzt, wo ich ihn wieder gefunden habe, habe ich auch wieder zu mir selbst gefunden.
Dass ich wieder schreibe, ist für mich der beste Beweis dafür. Ich schreibe darüber, wie ich Ed gefunden habe – um die ganze Geschichte zu verarbeiten. Wenn ich das geschafft habe, so hoffe ich, dann werde ich auch wieder Romane schreiben können.
Lorcan glaubt daran. Wir haben viel Zeit zusammen verbracht, allerdings nicht hier und auch nicht mit Ed. Dafür wird in Zukunft noch genügend Zeit sein. Jetzt ist Lorcan jedenfalls wieder zurück in Irland. Ich hätte ihn auch zusammen mit Ed begleiten können, aber das wäre nicht fair gewesen. Er muss erst einmal Zeit haben, sich an das Leben mit mir zu gewöhnen, genau wie Lorcan und ich Zeit brauchen, um uns Gedanken über eine mögliche Zukunft zu machen. Wir wissen, dass während der Suche nach Ed ganz besondere Umstände geherrscht haben, die mit dem Alltag überhaupt nichts zu tun haben. Es ist schon merkwürdig … Eine Beziehung, die wie unsere begonnen hat, kann eigentlich nicht funktionieren, aber irgendwie bin ich mir sicher, dass es in unserem Fall klappen wird.
Ed ist immer noch draußen. Ich stehe vom Tisch auf und gehe zur Spüle hinüber, um ihm etwas zu trinken zu machen. Wo früher edles Porzellan im Schrank stand, finden sich nun jede Menge Plastikbecher und Schüsseln. Gewöhnt habe ich mich daran noch nicht. Aber ich habe es ja nicht anders gewollt.
Mein Sohn, mein Kind, mein Heiliger Gral.
Ich stehe an der Spüle, lasse das Wasser laufen, und es wird wahr.
Genau heute vor drei Jahren ist Mama gestorben. Die anderen wissen nicht, dass ich das weiß, und sie wissen auch nicht, dass ich es gesehen habe.
Ich bin jetzt fast elf. Bald schon gehe ich auf die Secondary School. Gestern Abend zur Besuchszeit habe ich Papa gesehen. Er hat sich gefreut, weil er bald aus dem Gefängnis kommt. Und ich habe wie immer so getan, als ob ich lächele, aber in Wirklichkeit folge ich immer noch Mamas speziellem Kampfplan. Ich weiß sogar, wo ich die Pistole herbekomme. Der große Bruder von Darren Matthews hat es mir gesagt. Er kennt eine Bande in Archway, wo man sich für ein paar Hundert Piepen eine Knarre besorgen kann. Die werde ich Geniver schon abluchsen. Oh ja, Geniver. Sie will, dass ich »Mum« zu ihr sage. Die ganzen Sozialarbeiter und Psychologen auch, das weiß ich. Aber es ist ihre Schuld, dass Mama gestorben ist. Deshalb bleibt sie für mich Geniver. Ist mir egal, ob sie das mag oder nicht.
Mir ist nur wichtig, was Mama mir gesagt hat, bevor sie gestorben ist. Weil alles genau so passiert ist. Sie hat gesagt, dass die böse Frau kommen wird, und das ist sie auch. Sie hat gesagt, dass die böse Frau sagen wird, dass sie meine wirkliche Mum ist und dass sie Papiere und Untersuchungen und Rechtsanwälte mitbringen wird, die das alles beweisen sollen, aber dass ich nie vergessen sollte, egal was passiert, dass Mama meine richtige Mum gewesen ist, weil sie mich am meisten lieb gehabt hat.
Ich warte nur darauf, dass Papa aus dem Gefängnis kommt. Niemand in der Schule weiß, dass er dort ist, und ich weiß nicht einmal, ob es die Lehrer wissen. Das
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