Seit jenem Tag
haben.« Er schaut mich mit diesem reflexartigen bestätigenden Lächeln an, das ich inzwischen so gut kenne, doch ich sehe, dass meine Worte ihn nicht erreichen.
»Das schien in den letzten Monaten immer öfter vorzukommen. Mit Sicherheit kam es überhaupt nicht gut bei ihr an, dass ich sie anflehte, mir zu sagen, was ich falsch gemacht habe. Manchmal hatte ich das Gefühl …« , er senkt seine Stimme, »sie verachtete mich.«
Ich werde wütend um seinetwillen, merke dann aber, dass ich als Studentin genauso davon betroffen war und damals unter diesen raschen, brutalen Stimmungsschwankungen, die aus heiterem Himmel zu kommen schienen, gelitten habe. Ich würde gern die Zeit zurückdrehen und ihr sagen, was William noch immer nicht glauben will – dass der Grund dafür nämlich keine schlimmen Unzulänglichkeiten waren, die nur Sallys Röntgenaugen zu erkennen vermochten. Ich beiße die Zähne zusammen und suche nach den richtigen Worten.
»Verachtet hat sie dich auf gar keinen Fall.«
»Ich habe sie ein paar Monate, bevor es passierte, tatsächlich ohne Umschweife gefragt, ob sie die Scheidung möchte.«
»Was hat sie darauf geantwortet?«
»Sie war bestürzt. Ich hatte sie schon aufgebracht erlebt, aber so noch nie. Es dauerte Stunden, bis ich sie wieder beruhigt hatte.«
»Und was wolltest du?«, taste ich mich langsam hervor.
»Ich wollte so nicht weitermachen, aber eine Scheidung wollte ich auf keinen Fall. Es ist … das passt nicht zu meinen Überzeugungen.«
Er sagt dies mit der Entschlossenheit eines kleinen Jungen, der an den Weihnachtsmann glaubt und dies in seiner Klasse kundtut.
»Es kommt aber vor – man hat schon von solchen Fällen gehört«, sage ich und hasse mich gleich darauf für meinen Sarkasmus.
»Dessen bin ich mir wohl bewusst, aber meiner Meinung nach sollte es immer eine Lösung geben, sofern Kinder davon betroffen sind.«
»Aber wenn man nun die falsche Person geheiratet hat? Das war bei meiner Mum und bei meinem Dad der Fall. Ich hätte es besser gefunden, sie hätten sich schon sehr viel früher scheiden lassen. Es war ein Leben wie im Kriegszustand.«
Ich denke darüber nach, ob Dad das im Rückblick genauso sieht. Vielleicht hat er ja für sich die Eine gefunden, dann aber feststellen müssen, dass er für sie nicht der Eine war.
»Ich glaube nicht, dass meine Mutter es mit Pa leicht hatte, aber sie geriet nie ins Wanken.«
»Wie das?«
»Oh …« Er schüttelt den Kopf, als wolle er den Gedanken nicht weiterverfolgen. »Außerdem bin ich mir sicher, dass es, als es dann so weit war, eine Tortur für dich war.«
»Ja, das war es natürlich«, sage ich und habe dabei Sallys Lachen im Ohr, mit dem sie mich aus meiner Melancholie riss und dafür sorgte, dass mein neues lustiges Leben mich wie eine schützende Hülle umgab. Ich drücke meinen Daumen in seine Handfläche und schäme mich dafür, wie weit wir vom Weg abgekommen sind. »Ging es denn danach besser?«
»Ohne Frage. Sie wirkte glücklicher. Wir verbrachten eine schöne Zeit als Familie. Und dann …«
Er wendet sich ab, verliert sich in seiner eigenen Hölle. Genau das muss jene letzten Augenblicke umso qualvoller erscheinen lassen: Waren diese kurzen zweiten Flitterwochen eine Illusion, ein Fantasiegebilde, das Sally sich ausmalte, während sie ihren nächsten Schritt plante, oder war es ein qualvoller kurzer Einblick in das, was hätte sein können? Ich ziehe meine Hand zurück, weil ich uns plötzlich von oben sehe – sein Arm um meine Schultern. Was würde sie von mir denken? Zu meiner Überraschung holt er sie sich zurück.
»Danke«, sagt William. Er vergräbt seinen Kopf in meinem Haar und zieht mich an sich heran. Mir ist, als würde ich steif und nachgiebig zugleich werden. Er schiebt meine Stirnfransen aus meinem Gesicht, und ich wage es, ihm in die Augen zu schauen. »Du bist der einzige Mensch, bei dem ich einen Anflug von mir selbst verspüre.«
Wünschen wir uns das nicht alle – die Person, die all unsere Ecken und Kanten kennt und uns dennoch liebt? Jedenfalls ist es das, wonach ich immer gesucht habe.
»Du bist ein Engel«, haucht er und senkt seinen Kopf, um mich zu küssen. Ich drücke mit meiner flachen Hand gegen seine Brust, um ihn wegzuschieben, aber dann akzeptiere ich ihn und lasse zu, dass Logik und Kontext sich in nichts auflösen. Er löst sich und sieht mich besorgt an.
»Olivia, bist du damit einverstanden?«
»Ja, aber …«
»Was?«
Es gibt so viel zu sagen. Doch
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