Seit jenem Tag
wenn ich damit anfange, kann ich womöglich nicht mehr aufhören.
»Würdest du mich bitte Livvy nennen? Wenn du mich Olivia nennst, glaube ich immer, ich stecke in Schwierigkeiten.«
Aber egal, wie er mich nennt, ich stecke zweifellos in Schwierigkeiten. Die bloße Tatsache, dass ich es nicht übers Herz brächte, diesen Moment zu opfern, um stattdessen die Wahrheit zu erfahren, ist Beweis genug.
»Dann also Livvy«, sagt er und wärmt mich mit seinem Lächeln. »Komm mit nach nebenan, da haben wir es bequemer.«
Wir landen auf einem langen weinroten Sofa im Wohnzimmer, hinter dem ein gewaltiger Mahagonischrank voll kostbar aussehendem Porzellan aufragt. Mehrere Tischchen sind im Raum verteilt, darauf silbergerahmte Familienfotos und ein uralter Fernseher, der wohl Ende der Achtziger gekauft wurde. Während er meinen Nacken mit weichen Küssen überzieht, muss ich mein Gesicht abwenden, um nicht auf sein Hochzeitsfoto blicken zu müssen, seine aus dem Rahmen strahlende Freude – neben ihm Sally mit einem Lächeln, das, wie ich schwören könnte, nicht ihre Gefühlslage wiedergibt. Warum tue ich das? Atemlos setze ich mich auf.
»Nur …«
»Entschuldige«, sagt er und richtet sich ebenfalls auf, bemüht, seine Fassung wiederzuerlangen. Ich sehe, wie die sich unkontrolliert ausbreitende Woge der Schuld wie ein Tsunami auf uns zugerollt kommt, doch etwas in mir drängt mich, ihr noch ein wenig länger zu trotzen. Diesmal bin ich diejenige, die ihn küsst, die ihn heranzieht, spürt, wie eine andere Woge sich aufbäumt und ihn mitreißt. Als wollten wir in einer Art stillem Übereinkommen die Stimmen für eine Weile zum Schweigen bringen, existieren wir nur noch im Augenblick und geben uns damit zufrieden, unsere Küsse zu spüren. Es wäre himmlisch, wenn ich mich ganz hingeben könnte – ich würde mich völlig natürlich meiner Kleider entledigen –, aber natürlich ist mir das nicht vergönnt. Er hält inne, spürt es und zieht mich an seine Brust. Dort fühle ich mich sicher und genieße es, obwohl ich weiß, dass es eine Illusion ist. Ich streichele seine Bartstoppeln, unfähig, Worte zu finden, die die Lage nicht verschlimmern würden.
»Ich mag …«, beginnt er und hält dann inne, während seine Finger mit dem Kragen meines wenig zauberhaften gestreiften Pullovers spielen. Wenn ich an all die seidigen, verführerischen Klamotten denke, die ungetragen in der Scheune liegen, fällt es mir schwer, mich nicht unzulänglich zu fühlen.
»Was wolltest du sagen?«
Er dreht sich herum und blickt lächelnd auf mich herab.
»Vermutlich wollte ich fragen, wie etwas so Falsches sich so richtig anfühlen kann?«
»Du hast deinen Beruf verfehlt, das ist dir schon klar. Du solltest Countrysongs schreiben.«
»Ich weiß, das ist zutiefst ungerecht. Warum gibt es keine Schulungsprogramme für Jobs wie diesen?«
Unsere Blicke ruhen ineinander, und vieles bleibt unausgesprochen, denn er küsst mich wieder, leidenschaftlicher als zuvor. Ich verliere jegliches Zeitgefühl, als seine Hände sanft meinen Körper liebkosen, dabei nie zu weit gehen, aber auch nie aufhören, ihn zu erkunden.
»Glaubst du denn, dass du deine Berufung gefunden hast?«, fragt er mich, auf seinen Ellbogen gestützt. Ich muss überlegen.
»Ich bin dankbar, etwas zu tun, was mir Spaß macht«, sage ich.
»Wenn du beschreibst, was du machst, klingt es eher danach, als würde es prinzipiell Spaß machen.«
»Nein, so ist das nicht«, erwidere ich abwehrend.
»Das ist einfach nur eine taktlose Beobachtung, aber wenn du über dein Schreiben sprichst, dann sehe ich dich strahlen. Hast du schon was von der Kurzgeschichte gehört?«
»Nein, noch nichts«, antworte ich verlegen. »Außerdem war es wirkliche Knochenarbeit.« War es, bis ich lockerlassen konnte und meine wahren Gefühle hineinflossen. »Ich bin kein Naturtalent. Glaubst du nicht, dass das für deinen Beruf die Grundvoraussetzung ist?«
»Das sagt man mir manchmal nach«, antwortet er schroff vor Verlegenheit.
»Und bestimmt trifft es zu.«
»Aber ich empfinde es nicht als meine Berufung, obwohl sie es durchaus sein kann. Schließlich verspricht einem keiner, dass die Berufung auch etwas ist, was man gern tut. Womöglich ist es nur der Platz, an dem du den größten Beitrag leisten kannst.«
Seine Stimme verändert sich bei diesen Worten, als würde er die von jemand anderem nachplappern. Meine Augen wandern unbewusst zu einem Foto seines Vaters, das einen Ehrenplatz auf
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