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Seitensprung ins Glück

Titel: Seitensprung ins Glück Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary E Mitchell
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gegenüber nie äußern, sollte ich jemals eine haben. Ich gehe an dem ungenutzten Raum, der einmal das Kinderzimmer hätte werden sollen, vorbei ins Schlafzimmer. Meine Hände ballen sich so fest, dass die Nägel sich in das weiche Fleisch der Handfläche graben. Inga. Dieser Betrug! Mein Herz schmerzt wie ein aufgeschürftes Knie. Ich bin ein bisschen kurzatmig und spüre die Wunde, als wäre sie ganz frisch. Ich weiß, dass meine Mutter nicht allein schuld daran sein kann. Ich weiß, dass sie nur eine kleine Frau in großer Aufmachung ist. Aber trotzdem.
    »Ich bin ein bisschen müde, Ma«, rufe ich. »Ich lege mich jetzt hin.«
    »Dein Vater hat Blut im Urin«, murmelt sie hinter mir. Ich drehe mich um und sehe sie an.
    »Ich mache mir ein bisschen Sorgen, dass er sterben könnte«, sagt sie. Dann nimmt sie ihre Torte und geht.
    Statt mich hinzulegen, fahre ich zu Ingas Haus. Ich treffe sie im Garten an, wo sie sorgfältig ihre üppigen Tomatenpflanzen an Metallgittern hochbindet. Sie steht mit dem gebeugten Rücken zu mir. Sie ist größer und vielleicht ein bisschen drahtiger als meine Mutter, aber trotzdem der gleiche Typ. Gewinnend. Gertenschlank. So verdammt dünn. Mir schießt die Frage durch den Kopf, ob mein Vater sich vor dreißig Jahren auch zu Inga hingezogen gefühlt hätte. Vielleicht fühlen sich alle Männer zu den gleichen Frauen hingezogen, und der Rest von uns läuft einfach nur mit dem falschen Aussehen herum und wartet auf den Ausschuss, auf die Männer, die uns trotzdem nehmen.
    Teddys Auto ist nicht hier. So kam es, dass ich mich zur Rückseite von Ingas Cape-Haus vorgewagt habe, über den Pflasterweg, der sich am Rand des Grundstücks hinunterschlängelt, vorbei an sorgfältig arrangierten Sträuchern, die ihn flankieren.
    Ich hatte so eine Ahnung, dass ich sie hier finden würde. Sie wohnt mehr oder weniger in ihrem Garten. Ich warte darauf, dass sie sich umdreht und mich ansieht, und frage mich, was sie wohl sagen wird, wie sie ihrer ältesten, besten Freundin diesen ganzen Männer-Kuddelmuddel erklären wird. Doch als sie sich dann umdreht und ein roter Gartenhandschuh langsam zu ihrem offenen Mund wandert, bin ich es, die spricht.
    »Mein Vater hat Blut im Urin«, sage ich. »Vielleicht hat er Prostatakrebs.«
    »O nein «, sagt Inga sanft. Sie hat meinen Vater hundert Mal getroffen. Sie hat ihm ordentlich die Hand geschüttelt und ihn Mr Pulkowski und nicht Mr Plow genannt. Sie hat es ihm gestattet, sie auf seine stille Art zu lieben. Ich hoffe, dass diese Neuigkeit sie schmerzt oder zumindest aus dem Konzept bringt. Aber vielleicht hoffe ich auch, immer noch mit einem Problem zu meiner besten Freundin gehen zu können, wie früher.
    Jetzt sind wir beide verwirrt. Schweigend stehen wir in Ingas Garten. Kleine gelbe Haarbüschel rahmen ihre Stirn und ihren langen Hals. Ich streiche mein eigenes Haar zurück und spüre, wie spröde es ist. »Inga«, sage ich. »Wie konntest du mir das antun?«
    Sie beißt sich auf die Unterlippe. Sie geht in die Knie und hebt ihre Pflanzkelle auf.
    »Wie kannst du nur ernsthaft zusammen mit ihm ein Haus kaufen?«
    Sorgfältig wischt sie die Kelle mit einer behandschuhten Hand ab. »Ich muss jetzt gehen«, sagt sie, dreht sich um und geht weg.
    Die Fliegengittertür schlägt gegen den Türrahmen, und ich stehe zwischen den Tomaten und den Ringelblumen, allein. Ich folge ihr zur Tür und stehe da, drücke mir die Nase am Fliegengitter platt und schirme mit den Händen meine Augen ab. Ich luge in ihre Küche, auf die geschwungene Gardine über dem Spülbecken, auf eine angebrochene Weinflasche mit Korken auf der Arbeitsfläche. Sie selbst ist nicht dort. Sie ist in irgendeinem anderen Zimmer. Ich sehe jedes einzelne vor mir, die Farbe jeder Wand, jede Lampe, jedes Handtuch. Ich starre in den Raum, in dem Inga und ich vor dem offenen Gefrierschrank gestanden und Häagen-Dazs aus der Packung gelöffelt haben, wo wir Kekse gebacken und über unser Sexualleben gesprochen haben, wo wir zahllose andere Weinflaschen entkorkt haben. Jetzt ist das Teddys Küche geworden – zumindest, bis die beiden in ein Haus mit einer anderen Küche ziehen.
    Nach all diesen Jahren scheine ich nicht einfach hineingehen zu können. »Inga?«, rufe ich leise durch die Maschen des Fliegengitters. »Wie konntest du das tun?« Es ist leichter, mit ihr zu reden, wenn sie nicht da ist. »Wie konntest du mir den Mann wegnehmen? Ich habe dir geholfen, diese Gardine da aufzuhängen . Ich

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