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Seitensprung ins Glück

Titel: Seitensprung ins Glück Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary E Mitchell
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abgesegnet worden, ohne dass ich es mitbekommen habe? Gereizt fahre ich mir mit der feuchten Faust über die Haare und warte ungeduldig darauf, dass Mickey Hamilton aus seinem Büro kommt, damit wir Miltons Trainingseinheit beenden können. Die Tür geht auf, doch an seiner statt kommt Milton heraus. Er trägt seinen grünen SaveWay-Regenumhang und ist dabei, zu seinen Pflichten als Einkaufswagen-Einsammler zurückzukehren. Seine Augen liegen im Schatten der großen Kapuze, doch ich erkenne trotzdem, dass er mich anstarrt – als hätte er bei den Milchprodukten Miss Amerika entdeckt.
    »Oh, Miss Plow!«, ruft er plötzlich viel zu laut. Eine Frau lässt den Käse, den sie gerade in der Hand hält, fallen und starrt zu uns herüber.
    »Milton«, flüstere ich, »denk an unsere Stimme für drinnen.«
    »Aber Miss Plow! Ich muss mit Ihnen reden! «
    »Ja, schon, aber das kann man auch mit der Stimme für drinnen …«
    »Aber Miss Plow, ich liebe Sie doch«, sagt Milton und unterbricht damit jegliche Aktivität in Reihe sechs: Wagen-schieben, Sahnekaufen, sogar die Musik setzt zwischen zwei seichten Liedern kurz aus. »Was soll ich denn tun, wo ich Sie doch liebe?«, fragt Milton. Er breitet die Arme weit aus, als er auf mich zugesegelt kommt. Sein Regencape wölbt sich wie Adlerschwingen. Er will mich wirklich umarmen.
    Ich könnte eine Umarmung brauchen, aber nicht von Milton, und nicht vor dem Käseregal. Die Frau mit dem Käse lächelt, aber es ist ein verängstigtes Lächeln, denn dieses Lächeln bedeutet, Herrje, seht euch nur den behinderten Jungen an, wie er sich benimmt . Am liebsten würde ich ihr dafür eine runterhauen. Ich werde nie verstehen, warum Menschen mit geistiger Behinderung die meisten Menschen so erschrecken. Man könnte alle Miltons dieser Welt der Polizei und dem Grenzschutz zuteilen und unsere Grenzen allein mit ihren Liebesbezeugungen und ihrem guten Willen schützen. Solche Angst haben die Leute. Vorsichtig befreie ich mich aus Miltons Umarmung und führe ihn dann am Ellbogen Richtung Ausgang.
    »Es freut mich«, erkläre ich ihm im Gehen ganz ruhig, »dass du mich liebst, Milton …«
    »Wirklich?« Sein Gesicht fährt in der Kapuze zu mir herum,
    und er sieht mich mit großen Augen an.
    »Natürlich, ja. Aber, Milton …«
    Er drückt meine Hand. »Weil, wenn Sie mich auch lieben, Miss Plow, hab ich gedacht, dann könnten wir ja heiraten.«
    Unglücklich blicke ich in sein schönes Gesicht.
    »Wir könnten ein großes Fest machen«, sagt er. »Wir könnten tanzen, und Sie könnten ein weißes Kleid anziehen und ich …«
    »Milton!« Jetzt erhebe ich die Stimme und sehe bewusst in sein hübsches Gesicht. »Wir sind hier an deinem Arbeitsplatz, erinnerst du dich?«
    Milton senkt den Blick.
    »Weißt du noch, wie ich dir das mit dem Arbeitsleben und dem Privatleben erklärt habe und dass wir dazwischen unterscheiden?« Jetzt wird meine Stimme weicher. »Wir beide haben eine geschäftliche Beziehung.«
    Milton wendet sich ab. »Jaa«, seufzt er, ohne mich anzusehen.
    »Gut«, sage ich. Dann füge ich hinzu: »Du machst deine Arbeit wunderbar, Milton.«
    Er antwortet nicht. Ich sehe ihm nach, als er mit hängenden Schultern hinaus in den Regen tritt, als würde er eine schwere Last tragen. Supermarktkunden gehen vorbei. Er blickt nicht auf.
    Mr Hamilton taucht aus dem Nichts auf und stellt sich neben mich. Er hat seine Sportjacke über die Schulter geworfen und sie an einem gekrümmten Finger eingehakt. Und er trägt noch immer diese Siebziger-Jahre-Koteletten und dieses nichtssagende, alte Gesicht.
    »Harter Tag?«, fragt er, als wir zusammen zu seinem Büro gehen.
    »Nein, nein«, lüge ich, weil ich keine Lust habe zu erklären, dass für meine Schützlinge jeder Tag ein harter Tag ist. Schweigend betreten wir Mickeys höhlenartiges Büro und lassen uns auf unseren üblichen Plätzen an dem verkratzten Holztisch nieder. Er lockert seine Krawatte, greift hinter sich und holt eine Schachtel mit Doughnuts aus dem Regal.
    »Darf ich Ihnen einen anbieten?«, fragt er, und ich schüttele verneinend den Kopf, weil ich natürlich eine Anspielung vermute. Nach dem Motto: Bieten wir der Dicken mal einen Doughnut an. Andererseits könnte das Hams Art sein, zu sagen, dass er meine starken Knochen in Ordnung findet. Oder er hat einfach nur versucht, mir einen Doughnut anzubieten.
    »Sie sehen mitgenommen aus«, sagt er.
    »Mir geht es gut, Mr Hamilton«, entgegne ich. Ich schlage den Aktenordner mit

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