Seitensprung ins Glück
Wange.
»Da hast du recht, Milton«, sage ich zu ihm. »Da hast du wirklich recht.«
Langsam fahre ich davon und krieche an den für Long Island typischen Supermarktkunden vorbei – Hausfrauen mit toupiertem Haar, rundlichen alten Damen, »Gutsituierten« mit gestylter Frisur, die mit großen Klunkern behangen sind – alle beladen sie ihre Autos mit Plastiktüten, braunen Papiertüten und bergeweise Klopapier in Cellophan. Vielleicht werde ich mit der Zeit auch eine von diesen rundlichen alten Damen, eine weitere dieser grobknochigen alten Frauen wie Teddys Mutter, Mrs Stracuzza, mit ihrem italienischen Queens-Akzent, ihren Pastarezepten, ihren geschwollenen Knöcheln und dem katholischen Aberglauben. Als Frau eines Malers hat sie nie verstanden, warum Teddy so anders als seine Eltern sein wollte. Sein Faible für edle Weine und teure Designeranzüge hat sie in gewisser Weise enttäuscht. Manchmal komme ich mir vor, als wäre ich der Trostpreis, den Teddy nach Hause geschleppt hat, um sie zu beruhigen – ein rundliches Long-Island-Girl mit Eltern aus der Arbeiterklasse und, wenn schon keinem italienischen Nachnamen, dann doch wenigstens einem, der nach Long Island klingt.
Bis ich zu Hause bin, scheint die Sonne wieder. Ich sehe meine Mutter auf dem Besucherparkplatz stehen, sie hat sich mit gekreuzten Armen und Beinen an ihr Auto gelehnt. In dem langen Jerseykleid und dem kurzen, geblümten Jäckchen sieht sie aus wie die Mutter aus den Dick-und-Jane-Kinderbüchern.
»Hello, Dolly«, sagt sie und mustert mich durch ihre Sonnenbrille mit dem gesprenkelten Gestell. »Ich bin hier, um mir meine Tortenplatte zu holen, falls du sie nicht mehr brauchst.«
»Den Kuchen hast du gestern vor meiner Tür abgestellt, Ma. Glaubst du wirklich, ich esse so eine Kalorienbombe in nur vierundzwanzig Stunden?«
Sie schiebt die Sonnenbrille in die Stirn. Ich sehe, wie ihr Blick zu meinen Hüften wandert.
»Lass gut sein, Ma. Der Tag war lang.«
»Warst du arbeiten?«
»Ja.«
»In diesem Aufzug?« – »Ja«, sage ich. »In diesem Aufzug. Was dagegen?«
Ich drehe ihr den Rücken zu und gehe in Richtung Fahrstuhl. Sie schweigt wie ein Geist und heftet sich an meine Fersen. Sie weiß, dass sie mich verletzt hat. Als der Fahrstuhl klingelt, schlüpft sie neben mir hinein. Ich blicke in den Wandspiegel, und da sind wir: eine kleine Frau in einem Kostüm und eine große Frau mit Jeans. Eine Erdnuss und ein Kürbis, Seite an Seite. Meine Augen sind ungeschminkt und gerötet. Der Lippenstift meiner Mutter leuchtet rot.
Ich schließe die Tür auf und sehe zu, wie meine Mutter vor mir eintritt. Prüfend wandert ihr Blick nach links und rechts, ob auch alles ordentlich, staub- und ehemännerfrei ist. Erleichtert fällt mir ein, dass ich daran gedacht habe, die roten Dessous wieder zurück in die Schublade zu stopfen. Meine Mutter lässt sich steif in Teetrinkerpose auf dem Sofa nieder. Es wäre nett, wenn sie ihre Kuchenplatte nehmen und verschwinden würde. Aber natürlich ist sie nicht wegen der Servierplatte hier.
Ich rausche an ihr vorbei in die Küche und reiße die unangeschnittene Torte von der Arbeitsplatte.
»Hier. Warum nimmst du das nicht wieder mit?« Ich halte sie ihr demonstrativ vor das erschrockene Gesicht.
»Aber da ist ja noch die ganze, unberührte Torte drauf!«
»Davon werde ich nur noch fetter.«
»Das ist dein Lieblingsrezept! Das aus dem Kirchenkochbuch! Glaubst du etwa, ich habe die Torte für mich gemacht?«
»Woher soll ich wissen, für wen du sie gemacht hast? Hast du nicht gerade meine Hüften angestarrt? Vollschlanke Mädels brauchen keinen Kuchen, Mom. Schon vergessen?«
Meine Mutter schlägt die Beine übereinander und fegt ein nicht vorhandenes Staubkörnchen vom oberen Knie. Ihr Mund bildet eine schmale Linie. Schwer, schwer eingeschnappt.
»Rosie, du bist …« – »… pummelig, Mom. Ich bin pummelig, okay?«
»Nein! Du bist gehässig.«
»Ich bin nicht gerade perfekt, Ma. Einigen wir uns einfach darauf. Mein Outfit ist zum Kotzen. Mein Mann hat mich verlassen. Meinst du, du kannst damit leben, Ma?«
Sie blickt auf ihre Hände. Anscheinend kann ich nicht aufhören.
»Was du da sagst, Ma, verletzt anderer Leute Gefühle, ob du es glaubst oder nicht …«
Ihr Kopf fährt hoch. »Du bist doch nicht irgendjemand . Du bist meine Tochter. Ich dachte, ich könnte ganz offen zu dir sein.«
Ich verwerfe ihre Aussage mit einem verächtlichen Schnauben. So etwas werde ich meiner Tochter
Weitere Kostenlose Bücher